Prof. Dr. Tanja Prokić

Lehre

In meiner Lehre verknüpfe ich aktuelle Tendenzen der Forschung mit einer grundständigen Ausbildung in Analysemethoden, theoretischen Konzepten und historiografischem Kontextwissen. Meine Vorlesungen bemühen sich um eine hohe Anschaulichkeit durch begleitende Präsentationen mit Zitaten, Beispielen oder Diagrammen, klare Gliederung und Nachvollziehbarkeit, regelmäßige Reaktualisierungen und historische Kontexualisierung.

Meine Seminare widmen sich entweder Wissensfigurationen, spezifischen Phänomen, Einführungen in spezifische Methoden und Theorien, oder Werkzusammenhängen. Ein Merkmal meiner Lehre ist die Verknüpfung von Mikroebene (Close Reading, Bild- bzw. Szenenanalyse, Formenanalyse) und Makroebene (historischer Zusammenhang, Medienkultur, Gesellschaft, Ökonomie, Ökologie). Sämtliche meiner Veranstaltungen führen eine diskursanalytische Reflexion von Theorieschulen und Fächertraditionen mit, d.h. ihrer Streitfälle und Krisensymptome, ihrer Vernetzung, ihrer Differenzen und ihrer personellen Besetzung.

Über die Jahre habe ich in unterschiedlichen Zusammenhängen und Studiengängen unterrichtet. Daher ist es mir ein Anliegen gerade bei Lehrveranstaltungen mit unterschiedlichen Studiengängen in der Sprechstunde nicht nur konzeptuell, sondern auch individuell, d.h. ausgerichtet auf die speziellen Bedürfnisse eines Curriculums und etwaigen Berufswünschen, pragmatisch zu beraten. Je nach den Bedürfnissen der Studierenden zeige ich Perspektiven im akademischen Kontext auf, z.B. im Hinblick auf weiterführende Master-Studiengänge an deutschsprachigen Universitäten, auf Graduiertenschulen und Promotionsprogramme, auf Auslandsaufenthalte, Stipendien und Drittmittelformate. Ich berate bedürfnissensibel in Bezug auf thematische Schwerpunktsetzungen, aber auch in Hinblick auf Fragen der Vereinbarkeit.

Lehrveranstaltungen

Wintersemester 2024/2025

Seminar Content Culture – Theorie und Ästhetik des Digitalen

Digitale kommerzielle Plattformen wie Facebook, You-Tube, Instagram, Twitter, Twitch oder TikTok haben in den letzten Jahrzehnten maßgeblich unser Formempfinden, unser Kommunikationsverhalten sowie unsere sozialen Skripte verändert. Im kulturellen Archiv hinterlassen die Zeitlichkeit von Chat, Gif und Buffer die Ästhetik von Cat-Content oder Emoijs oder die Zirkulationsdynamik von Hashtags wie #metoo, #blacklivesmatter oder #tradwife ganz neue Spuren: Ihre Affordanzen müssen weit einflussreicher als konventionelle Gattungen oder Genres bewertet werden, dennoch bleiben Theorieentwürfe zur Beschreibung der neuen Content Culture bisweilen aus. Im Seminar wollen wir uns den Mikroästhetiken und -Praktiken der Content-Culture widmen und Ansätze zu einer wissenschaftlicher Deskription und Analyse zwischen Medien- und Kulturwissenschaft erarbeiten. Der Seminarplan widmet sich der Logik der Medienanalyse folgend jeder Sitzung einem Phänomen, u.a. Instagram, Twitter, App, Chat, Gif, Buffer, Emoji, Cat-Content, Trolling, Streaming, Vibe, Selfie, #tradwife etc.

Seminar Kritik der Familie

Familiengeschichten haben Konjunktur. Nicht nur in der Literatur, sondern auch im Theater, in der Serie, im Kino und vor allem in den Sozialen Medien stellt die Familie nach wie vor Sehnsuchtsort für Glück und Sicherheit, sowie Reflexionsort gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen, religiösen und historischen Geschehens dar. Dass die Reduktionen gesellschaftlicher Komplexität auf einige wenige Akteure der Kleinfamilie(n) notwendig zu einer Verkürzung und Verstellung führt, liegt dabei auf der Hand, wird aber nur selten Gegenstand der Kritik.

Zu dringend scheinen die mit dem Familienleben verkoppelten Probleme wie historische Aufarbeitung von Traumata oder Care- und Arbeitsdebatten. Dass im Herzen der Familie eine ganze Wunschmaschine schlummert, die unsere Gegenwart auf die historische Gleichursprünglichkeit von Kapitalismus, industriellem Extraktivismus und bürgerlicher Klasse verweist, kommt in der Analyse der Phänomene meistens zu kurz. Im Seminar wollen wir deshalb die Familiengeschichten einer kritischen Revision unterziehen, und nach den Bedingungen der Möglichkeit fragen, die uns immer wieder auf die Mikrozusammenhänge der Familie verweisen, anstatt nach der Totalität gesellschaftlicher Zusammenhänge zu fragen. Neben theoretischen Positionen z.B. von Friedrich Engels, Sigmund Freud, Simone de Beauvoir, Gilles Deleuze/Félix Guattari, bell hooks, Donna Haraway oder Slavoj Zizek wollen wir uns vor allem mit ästhetischen Phänomenen beschäftigen, die eine poetologische Kritik der Familie formulieren oder ermöglichen, z.B. anhand des Medea-Komplexes (Euripides, Grillparzer, Christa Wolf, Pier Paolo Passolini, Lars von Trier), Argonauten-Sage (Marie Luise Kaschnitz, Anna Seghers, Maggie Nelson), Ödipus-Komplex (Sophokles, Franz Kafka, u.a.), oder Theodor Fontane, Rachel Cusk, Filme von Douglas Sirk oder Tod Haynes.

Lektürekurs Reading Amerika

Im Lektürekurs wollen wir ein vertiefendes Verständnis durch die Exo-Perspektive Deutschland-Amerika gewinnen, dabei sollen vor allem Klassiker der Kulturtheorie Adorno/Horkheimer gelesen werden

Im Lektürekurs wollen wir uns ergänzend zum Masterseminar vor allem mit den Imaginationen Amerikas aus theoretischer, literarischer und popkultureller Perspektive beschäftigen. Dabei werden sowohl die Amerika-Kritik als auch die Diagnose der „Amerikanisierung“ im Mittelpunkt stehen, aber auch die Aneignung amerikanischer Narrative und Diskurse sowie ihre Inspirationskraft und Vorreiterrolle in der Globalisierung.

Die USA sind ein Land der Bilder und visuellen Symbole“ (C. Decker). Die USA sind ein Land paradigmatischer Mythenbildung. Die USA sind eine Brennkammer kultureller, medialer, technologischer und politischer Entwicklungen. Die USA sind eine universale Metapher für Ambivalenz. – Diesen komplexen Konstellationen wollen wir auf den Grund gehen, indem wir uns im Seminar typologisch identitätsbildende amerikanische Narrative anschauen: Gründungsmythos; Frontier und Kolonialismus; Machine Age; Wall Street; Kalter Krieg; Hollywood; Moderne/Postmoderne; Silicon Valley, Space Shuttle und Cyborgs; Trump, Fake News und die Neue Rechte …

Theorie und Praxis in der NdL & Exemplarische Lektüren (WP 14.1+2)

Das Modul WP14 (»Spezialisierungen in der Neueren deutschen Literatur im systematischen und historischen Kontext«) besteht aus einer zweiwöchentlichen Lektüreübung zur deutschen Literaturgeschichte (WP 14.2, Donnerstag 11-15h, eine Mittagspause wird von uns flexibel festgelegt) und einem selbständigen Studienteil (›independent study‹, WP 14.1, begleited via Zoom-Sprechstunden), in dem die Studierenden sich drei Themengebiete für die mündliche Prüfung am Ende des Semesters (30-60 Min.) eigenverantwortlich erarbeiten. Für die Präsentation und Diskussion der Themengebiete und/oder einzelner Texte aus den Themengebieten stehen die Sitzungen am Mittwochvormittag zur Verfügung. Zur Vorbereitung der mündlichen Prüfung erstellen die Studierenden zu ihren Themengebieten Thesenpapiere. Die beiden Veranstaltungen (WP 14.1 und WP 14.2) sind aufeinander bezogen und müssen daher gemeinsam in einem Semester absolviert werden.

Sommersemester 2024

Seminar Sehen Lernen – Einführung in die Filmwissenschaft

Dass wir manchmal schon lange vor der Preisgabe durch die Handlung wissen, welche Figuren zusammenfinden, dass der Held oder die Heldin sterben wird oder wer der Mörder ist, verdanken wir dem gezielten Einsatz filmischer Techniken, deren Konventionen wir seit Kindertagen implizit beherrschen. Komplizierter wird es allerdings mit zunehmender audiovisueller Komplexität. Manche Filme verlangen von uns regelrecht mit ihnen sehen zu lernen, das heißt dass wir ihre ganz eigenen Konventionen filmischer Mittel erfassen müssen, um zu einem tieferen Verständnis vorzudringen. Im Dialog mit Genre- und Autoren-Filmen wollen wir Formen und Funktionen von filmischen Mitteln beschreiben und analysieren lernen. Dabei widmen wir uns dramaturgischen Konventionen unterschiedlicher Genres (Komödie, Western, Horror, Drama …) genauso wie kinematografischen Mitteln. Welche Funktionen beispielsweise haben Unschärfe, Split Screen, Farbgebung, Black Screen/White Screen oder Dissolve? Welche Effekte erzielt die Mise-en-Scene, was bewirkt die Bildeinstellungen?

Vorrangiges Ziel dieses Seminars ist eine Einführung in die Grundlagen der Filmwissenschaft im Hinblick auf medienkomparatistische Kompetenzen. Im Seminar arbeiten wir verstärkt mit Szenenanalysen und dem wiederholten Ansehen von Szenen.

Seminar Literarische Tiere

Literarische Tiere in Meuten und Schwärmen, im bedrohlichen Rudel oder als reflektierte Einzelgänger, als Allegorie oder Metapher stehen im Mittelpunkt dieses Seminars. Dabei wollen wir uns verstärkt literarischen Tieren des 20. Jahrhunderts widmen, die die menschliche Subjektivität und Wahrnehmung herausfordern. Die Frage nämlich, was ein Mensch ist und kann, entscheidet sich im 20. Jahrhundert nicht durch den Blick in den Spiegel, sondern im Vergleich mit anderen Arten. Während Darwins Evolutionstheorie die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts wissenschaftlich und künstlerisch in Atem hält, sehen die Bedingungen im 20. Jahrhundert schon etwas routinierter aus und das Eigenleben der Tiere fordert die literarische Spekulation auch unter den Vorzeichen einer Modernisierung der Literatur heraus.

Nach drei Einführungsblöcken zu den Human-Animal-Studies wollen wir die einzelnen Sitzungen unter das Zeichen eines Tiers stellen und unterschiedliche kürzere Texte von Autoren und Autorinnen einer (tierlichen) Lektüre unterziehen. Gibt es den Wolf im Singular oder nur im Plural? Können Pferde lachen? Kann die Maus singen? Schlummert in jedem Kater ein phantasmatischer Exzess? Führen Fliegen Krieg? Müssen wir uns den Hund unterwerfen? Steht der Affe dem Menschen am nächsten oder umgekehrt? Führen uns Esel hinters Licht? Ist es besser ein Käfer zu sein? Ist das Tier eine Ware?

Seminar Geospekulationen. Ästhetik und Theorie des Anthropozän

Was hat Literatur zu jenem erdgeschichtlichen Zeitalter zu sagen, das zwar nach dem Menschen benannt ist, sich aber vor allem seine Destruktionskraft bezieht? Wie geht die Literatur mit dem laufenden Artensterben, dem vermeintlich katastrophischen Zustand der Erde, der Ausbeutung des Planeten und der Zerstörung unser aller Lebensgrundlage um? Welche Formen der Kritik entwift sie? Welche neuen Schreib- und Erzählungsweisen entwickelt sie?

Im Seminar wollen wir uns mit den wichtigsten philosophischen und kulturtheoretischen Positionen rund um das Anthropozän (z.B.Timothy Mrorton, Eva Horn, Amitavh Gosh, Daniel Falb, Uschi Heise, Jason Moore, Donna Haraway, Mckenzie Wark etc.) beschäftigen und eine Auswahl von Romanen lesen, die sich mit dem Ende des Holozän und den Ursachen und Wirkungen des Klimawandels sowohl motivisch als auch formalästhetisch beschäftigen: Max Frisch „Der Mensch erscheint im Holozän“ (1979), Judith Schalansky: Der Hals der Giraffe (2015), Karl Wolfgang Flender Greenwash Inc. (2014), Samuel Hamen: Wie die Fliegen (2024).

Im Mittelpunkt unserer Beschäftigung mit Theorie und Literatur steht eine Erkenntnismethode, die der Literaturwissenschaft nicht unbekannt ist: Die Spekulation: Wir wollen fragen, wie sehr sich die Ästhetik von den Erkenntnissen der modernen Wissenschaft beeinflussen lässt. Wie Literaturen spekulative Perspektiven generieren und wie Kunstwerke eine planetare oder kosmische Atmosphäre erzeugen, die auf die Grenzen der menschlichen Vorstellungskraft verweist.

Oberseminar Literaturphilosophie

BA-Kolloquium

Wintersemester 2023/2024

Seminar The New Weird

Weird, das ist alles, was nicht so richtig passt, das Schräge, Merkwürdige, das Verschobene, das Schauerliche. Es lauert im Alltäglichen, im Gewöhnlichen: Nur in Differenz zu diesem kann es die volle Kraft des Fremden zur Entfaltung bringen. Und eben darin besteht der Reiz des Weirden für die Literatur: Es soll uns anders wahrnehmen machen, anders denken, anders leben. So artikuliert das Weirde das genuin poet(olog)ische Begehren, über das Wesen und den Zweck der Literatur zu reflektieren. Was Literatur aber kann und soll wird spätestens seit dem 20. Jahrhundert in Form von Manifesten, in längerer Tradition in Poetiken oder literarischen Zusammenschlüssen reflektiert oder gar kategorisiert. Manchmal zirkuliert oder vielmehr migriert eine zeitlich spezifische Reflexion des Sollens und Könnens von Literatur eben auch als „kleiner“ Modus durch (randständigere) Texte. Der Versuch diesen Modus einzugrenzen, mündet in Anthologien und semitheoretische Extrapolationen. Dabei wird das zunächst Fixierbare plötzlich diffus. Das, was neu und anders schien, findet sich auch im Alten, Kanonischen und Klassischen wieder. Vielleicht sogar mit einem ähnlichen Begehren oder Unbehagen an der Kultur. The New Weird – erstmals, jenseits der Online-Foren und Festivals, für die von Ann und Jeff VanderMeer herausgegebene Anthologie gebraucht – ist ein solcher ästhetischer Modus. Aus der klassischen Fantasy und dem Groschenromanen, aus Horror- und Detektivcomics, aus Thrillern und Noir hervorgegangen, hat er sich als ein literarischer Modus emanzipiert. Im Seminar wollen wir den Spuren der New Weird-Ikonen wie China Méiville und Jeff VanderMeer bis zu ihren Ahnen, H.P. Lovecraft und Edgar Allen Poe, den Schöpfern des Weirden sowie den mitunter feministischen Gegenbewegungen (Margaret Atwood, Ursula Le Guin, Donna Haraway, Elvia Wilk) folgen. Dabei sollen auch unterschiedliche Medienkünste (Video, Games, Theater, Film) auf Konzepte und Parameter des Weirden befragt werden. Außerdem wollen wir den Einfluss auf die deutsche Gegenwartsliteratur befragen. Geprüft werden sollen alternative Genealogien des Weirden, etwa das Unheimliche (Freud) und die Verfremdung (Šklovskij, Brecht) oder Analogen etwa zum Queeren (Sedgwick, halberstam)

Seminar Schreiben

Was treibt das literarische Schreiben an? Was tun, wenn es ins Stocken gerät? Wie gestaltet sich beim Schreiben die Beziehung zu künftigen Lesenden? Sollen Schreibende ihre Texte lieben? Muss der Text eine Funktion haben? Wie soll das Schreiben sich zu (grammatischen) Regeln verhalten? Bedarf es einer speziellen Situation? Einer Routine? Muss Schreiben immer auch Spekulieren sein? Oder ist es nur gute Beobachtung? Im Seminar wollen wir uns mit den Ratschlägen berühmter Autoren und Autorinnen (z.B. Roland Barthes, Rainer Maria Rilke, Rachel Cusk, Ursula LeGuin) zum Schreiben beschäftigen, um etwas über die gesellschaftliche Funktion der Literatur herauszufinden, die Rolle der Schreibenden, ihre besondere Beziehung zum Text und zu den Lesenden. Dabei soll der Mythos des Schreibens genauso auf den Prüfstand geraten wie dessen dekonstruktivistische Verwerfung.

Seminar Kafkas Miniaturen

Kafka, das ist der Autor, auf den sich alle einigen können. Kafka ist kanonisch, weil er immer aktuell ist. Weil er dem Alltäglichen das Abstrakte entzieht und dem Abstrakten das Alltägliche induziert. Kafka, das ist Literatur und Philosophie gleichzeitig. Kafka ist einer der größten Literaten des 20. Jahrhunderts, aber ist er es auch „im“ Kleinen? Gilles Deleuze und Felix Guattari heben in KafkaFür eine kleine Literatur das Kleine, das Minoritäre im Gegensatz zum Majoritären, das Nicht-Hegemoniale als das Besondere von Kafkas Literatur hervor. Es berge das Geheimnis seines Groß-werdens. Im Seminar wollen wir das Kleine, die Miniaturen (veröffentlicht und nicht veröffentlicht) in Kafkas Werk aufsuchen und prüfen, was sie in nuce enthalten: Literatur? Philosophie? Das Gesetz der Sprache? Das Gesetz der modernen Gesellschaft?

Oberseminar

Sommersemester 2023

Vorlesung Pathografie(n) der Gegenwart

Depression, Burn-Out, Trauma – die Zunahme an Erschöpfungsdiagnosen vor, nach und während der Pandemie wurde nicht nur breit in der Öffentlichkeit diskutiert, sondern erhielt entsprechend auch Aufmerksamkeit von kulturtheoretischen Analysen. In der Literatur haben Krankheitsgeschichten in den letzten Dekaden wieder Konjunktur, nicht zuletzt dank des Revivals der Autofiktion. Intime Lebenserzählungen, die um Kindheitstraumata und spätere somatoforme Störungen sowie um Phasen der depressiven Verstimmung und des Burn-Outs kreisen, häufen sich auch in anderen popkulturellen Formaten (Serien, Film, Musik, Comic). Ein Zusammenhang mit der Kultur des Digitalen bzw. des Postdigitalen wurde u.a. von Mark Fisher hergestellt. Die Alternativlosigkeit unserer gegenwärtigen Epoche, die seltsame Mischung aus Langeweile und Restlosigkeit trägt, so Fisher, zu einer Gefühlsstruktur des Depressiven bei. Die Wiederkehr des Verdrängten, eines so genannten „anthropozänen Unbewussten“ (Mark Bould), das die menschliche Bedingung zwischen Verantwortung und Kontrollverlust beschreibt, wurde zuletzt auch als zeitspezifische Signatur beschrieben. In der Vorlesung wollen wir gezielt nach der Conditio humana zu Beginn des 21. Jahrhunderts sowie nach der Epochenfähigkeit des jungen 21. Jahrhundert fragen.

Seminar Trauma-Plot

„Fiction writers love it. Filmmakers can’t resist it.“ (Parul Sehgal)

Im Dezember 2021 vorveröffentlichte The New Yorker online unter dem Titel „The Case Against The Trauma-Plot“ einen Beitrag der Journalistin Parul Sehgal. Er enthielt eine kritische Abrechnung mit einem vorherrschenden Plottypus von Filmen, Serien und Literaturen der Gegenwart. Karl Ove Knausgards Min Kamp-Reihe (2009-2011), Hanya Yanagihara’s A Little Life (2015), Ted Lasso (2020, Apple TV+), Reservation Dogs (2021, FX) und WandaVision (Disney+, 2021), ­­– um nur einige zu nennen. Nicht allein die Aufzählungen all jener Beispiele, die sich durch einen trauma-plot auszeichnen, verblüfft, sondern auch der Seghals Befund, dass nämlich der Trauma-Plot moralisch belehre und Charaktere auf ein Symptom hin „verflache, verzerre, reduziere“. Allen voran führe er dazu, dass wir die Freude des Nichtwissens und der Intransparenz vergessen. Zwar sind die traumatisierten Akteure von Erinnerungslücken, Gedächtnisverlust, dekontextualisierten Flashbacks und Intrusionen, von obsessiven Wiederholungshandlungen oder depressiven Episoden geplagt, doch die Rekonstruktion der Ereignisse, die Suche nach dem traumatischen Kern gibt die Struktur der Handlung vor: am Ende steht die Offenlegung dessen, was wirklich geschah. Der Trauma-Plot „does not direct our curiosity toward the future (Will they or won’t they?) but back into the past (What happened to her?)”, so Seghal. Damit scheint ein zentraler Bezugspunkt zu unserer Gegenwart gegeben, die ganz allgemein ein Mangel an Zukunftsentwürfen und eine Vergangenheitsvergessenheit auszeichnet. Denn spätestens nach Auschwitz lautet die Frage der Kunst: Wie erinnern? Wie darstellen? Damit wird die Frage der Form zum ästhetischen, historischen und letztlich auch anthropologischen Thema schlechthin. Dass nicht zuletzt der Film durch diesen Streit um die angemessene Form ein katalytische Kraft bezieht, wird mit Blick auf die FIlmgeschichte deutlich. Im Seminar wollen wir uns an einer Kinematografie des Traumas versuchen. Wir richten somit die Frage der Gegenwart an die Vergangenheit: Wann erfindet das Kino sich mit und durch die Herausforderung kollektiver traumatischer Ereignisse und individueller traumatischer Erfahrungen neu?

Lektürekurs Trauma – Theorie und Geschichte

Begleitend und vertiefend zum Trauma-Plot-Seminar wollen wir uns mit  unterschiedlichen Aspekten von Traumata beschäftigen. Etwa der Vorgeschichte von des Traumas, das unter anderem als „Schreckneurose“, als „Eisenbahnkrankheit“ (railway spine) oder als „Kriegszittern“ (shell shock)­ in seinen Symptomen bekannt war. Insbesondere das KZ Syndrom oder das Post Vietnam Syndrome (PVS) haben dann zu einer Intensivierung nicht nur der medizinischen Forschung beigetragen, sondern auch zu einer Revision der prekären Frage einer Medienästhetik traumatischer Ereignisse. Es ist kein Zufall, dass einflussreiche kulturtheoretische und narratologische Theorien im Umfeld der Debatten um die Darstellbarkeit des Inkomensurablen entstehen. Wir wollen uns explizit auch der Karriere des Traumas im medien- und kulturwissenschaftlichen Zusammenhang seit der Aufnahme der Diagnose in das amerikanische Diagnose-Manual Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (aktuell: DSM-5, seit 1952) im Jahr 1980 und der Aufnahme in International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems im Jahr 1992 widmen. So wollen wir uns mit der Resonanz von Ästhetik und Diagnostik beschäftigen. Dabei wird uns vor allem interessieren, wie sich das Verhältnis von Individuum und Kollektiv, Geschichte und Leben, Individuum und Spezies, Erinnerung und Gedächtnis, Zeugenschaft und Darstellbarkeit, Affekt und Reflexion in der Bearbeitung unterschiedlicher Traumata gestaltet.

Oberseminar

BA-Kolloquium

Wintersemester 2022/23

Seminar Einführung Gender Media Studies

Im Seminar wollen wir uns mit Methoden und Theoriestücken der Gender Media Studies beschäftigen. Das Seminar teilt sich in vier größere Blöcke, die jeweils mit einer symptomatischen Figur aus den Theorien überschrieben sind:

1) Göttin: Visual Culture und Repräsentationskritik, 2) Mutter: Wissensordnungen des Geschlechts, 3) Cyborg: Technowissenschaft, 4) Girl: Postfeminismus, 5) Humus: Ecofeminismus

Aufgabe wird sein, komplexe sowie ästhetische Theorieinterventionen auf ihre Potenziale und Restriktionen für die Analyse medialer Artefakte (Literatur, Film, Theater, Social Media) zu befragen. Dabei gilt es die Theorien auf ihren jeweiligen historischen bzw. theoriegeschichtlichen und (medien)kulturellen Kontext zu befragen, um ihren Einsatz entsprechend zu verorten. Zu Illustration der Grundlagentexte – etwa von Laura Mulvey, Kaja Silverman, Sander L. Gilman, bell hooks, Richard Dyer, Wendy Chung, Judith Butler, Rosalind Gill, Teresa de Lauretis, Angela McRobbie, Donna Haraway, Friedrich Kittler, Marshall McLuhan, Jack Halberstam, Paul Breciado – wollen wir ausgewählte Beispiele aus Werbung, Film, Video, Kunst, Fernsehen und Literatur heranziehen. Im Sommersemester soll eine Fortsetzung stattfinden.

Seminar Atmosphären

Im Zuge der Environmental Media Studies bzw. der Environmental Humanities wurde die Diskussion um den Begriff der Umwelt wieder neu belebt. Im Seminar wollen wir uns aus einer medienkulturwissenschaftlichen Perspektive mit der Begriffsgenese rund um die Denkfigur der „Umwelt“ (Umgebung, Ambiente, Atmosphäre, Vibe etc.) beschäftigen und die verschiedenen theoriepolitischen Einsätze diskutieren, die mit unterschiedlichen Begriffspolitiken im Hinblick auf die Herausforderungen der erdgeschichtlichen Epoche des Anthropozäns einhergehen. Theorien und mediale Beispiele werden im Seminar miteinander ins Gespräch gebracht, um die Konzepte auf ihre Anwendbarkeit und Tragfähigkeit zu prüfen. Ob „Umwelt“ (Uexküll), „Ozeanisches Gefühl“ (Rolland, Freud), „Stimmung“ (Heidegger), „Einfühlung“ (Worringer), „Aura“ (Benjamin), „Ambiente“ (Spitzer) allen (historischen) Konzepten scheint eine Problematisierung der Unterscheidung von Innen und Außen, Tiefe und Oberfläche, Wahrheit und Täuschung inhärent, die ein Instrument bereitstellen, etwas über historische Spezifika von Wissensdiskursen und ästhetischen Operationen zu erfahren. Nähe und Distanz zu Konzepten der Immersion, Illusion, Virtualität etc. können dabei etwa helfen, die genannten Grundunterscheidungen ebenso wie die Funktion von „Atmosphären“ genau zu bestimmen. So sollen uns zum Beispiel beschäftigen, warum Begriffe wie „Aura“ und „Atmosphäre“ noch mit landschaftlichen Umgebungen und Naturerfahrungen als „wahrhaftige“, leibliche verifizierbare Erfahrungen konnotiert sind, während Begriffe wie „Ambient“ und „Vibe“ eher zur Beschreibung von medialem Erleben und intersubjektiven Empfindungen herangezogen werden. Theoretische Konzepte und mediale Artefakte (Literatur, Film, Musikvideo, Kunst, Theater) sollen in diesem Seminar eng miteinander verzahnt werden. Vor allem letzte sollen nach ihren ästhetischen Strategien befragt werden, spezifische „Atmosphären“ zu erzeugen und zu kritisieren

Oberseminar Politik der Affekte

Wintersemester 2022/23

Seminar Einführung Gender Media Studies

Im Seminar wollen wir uns mit Methoden und Theoriestücken der Gender Media Studies beschäftigen. Das Seminar teilt sich in vier größere Blöcke, die jeweils mit einer symptomatischen Figur aus den Theorien überschrieben sind:

1) Göttin: Visual Culture und Repräsentationskritik, 2) Mutter: Wissensordnungen des Geschlechts, 3) Cyborg: Technowissenschaft, 4) Girl: Postfeminismus, 5) Humus: Ecofeminismus

Aufgabe wird sein, komplexe sowie ästhetische Theorieinterventionen auf ihre Potenziale und Restriktionen für die Analyse medialer Artefakte (Literatur, Film, Theater, Social Media) zu befragen. Dabei gilt es die Theorien auf ihren jeweiligen historischen bzw. theoriegeschichtlichen und (medien)kulturellen Kontext zu befragen, um ihren Einsatz entsprechend zu verorten. Zu Illustration der Grundlagentexte – etwa von Laura Mulvey, Kaja Silverman, Sander L. Gilman, bell hooks, Richard Dyer, Wendy Chung, Judith Butler, Rosalind Gill, Teresa de Lauretis, Angela McRobbie, Donna Haraway, Friedrich Kittler, Marshall McLuhan, Jack Halberstam, Paul Breciado – wollen wir ausgewählte Beispiele aus Werbung, Film, Video, Kunst, Fernsehen und Literatur heranziehen. Im Sommersemester soll eine Fortsetzung stattfinden.

Seminar Affekt und Kalkül – Literaturen der Verbundenheit

Attachments are a matter not only of individual receptiveness but also of catalysts, sparks, triggers— all those influences that steer us toward an affinity for certain works, in predictable but also in surprising ways.“ (Rita Felski: Hooked, S. 7)

Im Seminar beschäftigen wir uns mit den unterschiedlichen literarästhethischen Strategien erzählender und essayistischer Literatur, eine Beziehung zu Ihren Leser:innen aufzubauen. Dabei werden uns unterschiedliche Ansprachen – etwa politischer oder konfessioneller Natur – interessieren. Wir wollen davon ausgehen, dass literarische Texte über ein Wissen verfügen, wie sie Leser:innen zu Kompliz:innen, Zeug:innen, Freund:innen, Revolutionären oder Anhänger:innen machen. Ansprachen, Redeweisen und Erzählmodi evozieren unterschiedliche Leser:innen-Haltungen, die wiederum darüber entscheiden, wie das Erzählte seine Publika erreicht, stabilisiert oder gar mobilisiert. Literarische Texte werben um unser Mitgefühl, unser Einverständnis, unsere Anteilnahme, unsere Reflexion, unsere Zustimmung, oder unser Urteil. Sie tun dies, so die These, kalkuliert. Insbesondere für die Gegenwartsliteratur lässt sich dabei ein Trend zu einer neuen Intimisierung der Beziehung zu den Leser:innen verzeichnen. In einer Zeit der kurzfristigen, fragilen Bindungen, die durch die digitalen Plattformen befeuert werden, spielen dabei Faktoren wie Vertrauen, Authentizität, Reflexivität und Kredibilität eine neue Rolle. Distanz und Reflexivität scheinen dabei eher einen Kontrapunkt zu setzen. Im Seminar werden klassische Theorien der Text-Leser:innen-Beziehung (etwa Ansätze der Rhetorik, der Rezeptionsästhetik, Dialogizität), Theorien der Kommunikation (Adorno, Goffman, Luhmann) sowie neuere Theorieansätze (Audience Turn, Affect Studies, Postkritik) auf Ihre Konzeptualisierung hinsichtlich einer kalkulierten Affektion von Leser:innen behandelt. Außerdem wollen wir ausgewählte literarische Texte bzw. Textstellen auf ihre impliziten Verfahren der Werbung, Überzeugung oder Überredung befragen.

Sommersemester 2022

Vorlesung Theorien für das 21. Jahrhundert

Neue Theorien für ein neues Jahrtausend, so könnte der Slogan dieser Vorlesung lauten. Diagnosen wie jene literarische von Sibylle Bergs GRM. Brainfuck (2019) zirkulieren inzwischen zahlreich – zählt man Webjournalismus, Sachbuchsektor und das Feuilleton mit. Doch wie verhält es sich mit der Theorie? Die letzten Jahrzehnte, so scheint es, waren von einer eigentümlichen Theoriefeindlichkeit in den Geistes- und Kulturwissenschaften geprägt. Empirische Studien, eine Konzentration auf Partikularismen, situiertes Wissen und das Paradigma des Assemblage sowie die Flucht in den Historismus schienen sich gegenüber großen Systementwürfen durchgesetzt zu haben. Das postmoderne Erbe vom Ende der großen Erzählungen scheint realisiert. Doch die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sind nicht nur dringlich, sie machen allemal deutlich, dass wir es mit globalen, wenn nicht gar planetaren Zusammenhängen zu tun haben, für die partikulare Perspektivierungen genauso wenig hinreichen wie die verabschiedeten Systementwürfe. Das Anthropozän, Klimakrise inklusive Migration und Massenartensterben, Erosionserscheinungen der Demokratie, globale Prekarisierung, Plattformkriege, Finanzialisierung, Künstliche Intelligenz, Virtualisierung, Web 3.0 und Krypto-Währungen… all diese Entwicklungen greifen ineinander und verlangen nach neuen Theorieentwürfen. In der Vorlesung wollen wir uns mit innovativen theoretischen Schlüsselkonzepten beschäftigen, die die Herausforderung des 21. Jahrhunderts annehmen und die das Projekt der Theorie für eine kommende Generation zu rehabilitieren helfen. Da es ein zentrales Anliegen der Vorlesung ist, abstrakte Zusammenhänge anschaulich aufzuarbeiten, ist die Vorlesung für Anfänger:innen genauso wie für Fortgeschrittene geeignet.

Seminar Medien der Vigilanz

Unsere Gegenwart steht unter dem Paradigma einer erhöhten Wachsamkeit – individuell wie politisch. 9-11-2001 und die Finanzkrise 2008, die Großereignisse zu Beginn des jungen Jahrtausends, haben nicht zuletzt zu enormen Verschiebungen im öffentlichen und privaten Raum geführt und das Projekt einer erhöhten Wachsamkeit vorangetrieben – technologisch, menschlich und kulturell. Technologien und Infrastrukturen der Überwachung haben sich in den so genannten Kontrollgesellschaften (Gilles Deleuze) nicht nur normalisiert, sondern gehören inzwischen zu unserem Alltag. Von CCTV, Wikileaks, #metoo und #blacklivesmatter über Zyklus-Apps, Verbraucheraufklärung bis hin zu Kontaktverfolgungs-Apps, die Gründe für Wachsamkeit sind vielfältig. Die einen suchen nach dem richtigen Zeitpunkt für die Familienplanung, die anderen wollen aufklären oder einen Raum des Politischen zurückerobern, der Staat seine Bürger:innen vor Terror, Kriminalität oder Pandemien schützen. Nicht zuletzt die Debatte um Wokeness und ihrer Aneignungen im Kulturkampf machen deutlich, dass Wachsamkeit vielgestaltig ist. Während der Ausdruck „Stay woke!“ im afroamerikanischen Slang ab den 1930er Jahren ein „erwachtes“ Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Rassismus bezeichnete, ist er seit der Rehabilitierung und Verbreitung durch antirassistischen, feministischen und LGBT-Aktivismus auch zunehmend mit Identitätspolitik und auch Einsatz in einem Woke Capitalism identifiziert Im Seminar wollen wir deshalb nicht nur alltägliche und spezielle Medien und Techniken der Vigilanz, sondern auch die sozioökonomischen Bedingungen sowie herrschende Machtverhältnisse in den Blick nehmen.

Das Seminar ist als ein kooperatives Seminar mit der Uni Wien, der Uni Gießen und dem SFB 1369 Vigilanzkulturen an der LMU angelegt.

Seminar Politik der Freundschaft

Die Sozialen Medien haben eines deutlich gemacht: Neben Lebenspartnern und Familie, ist die Freundschaft der Kern- und Angelpunkt des Sozialen an den Sozialen Medien: die einfachsten Infrastrukturen und Anwendungen erlauben es uns, rund um die Uhr mit unseren Freund:innen in Kontakt zu bleiben, alte Verbindungen wieder aufzufrischen und neue Freundschaftsbande zu knüpfen. Die Möglichkeiten des Austauschs scheinen unbegrenzt: man kann die Stimme der Freund:innen über Sprachnachrichten auch zeitversetzt hören, über Fotos, Videos, Emojis, Memes und Gifs am Alltag und den Gefühlen der Freund:innen – auch jener in der Ferne – teilhaben oder gar ganze globale Netzwerke von Bekanntschaften und Freundschaften aufbauen. Die Trennlinien zwischen Freund:innen und Follower:innen, zwischen Freundeskreis und Netzwerk gestalten sich im Raum des Digitalen dabei gar nicht mehr so eindeutig, insofern sich zunehmend ein Kommunikationsstil der sogenannten „presumed intimacy“ (Chris Rojek) durchsetzt. Haben viele von Uns das „Hey Du!“ des Möbelhauses Ikea als rhetorische Ansprache noch als deplatziert empfunden, hat sich das freundschaftliche Du zunehmend auch im politischen Diskurs (etwa das Wahlplakat „Respekt für Dich“ der SPD 2021) etabliert. Doch wie ist es in Zeiten der Digitalisierung wirklich um eine „Politik der Freundschaft“ (Jacques Derrida) bestimmt? Wie gestaltet sich die Beziehung der Freundschaft zum Öffentlichen bzw. Politischen? Ist sie eine Beziehung unter Gleichen (Hannah Arendt)? Ist sie auf den Raum des Privaten begrenzt, oder handelt es sich nicht zuletzt seit den Sozialen Medien um eine vergesellschaftliche Form? Setzt die Freundschaft den individuellen Austausch, gar eine leibliche Erfahrung voraus? Inwiefern ist sie sich ihrer Basisunterscheidungen Freund/Feind (Carl Schmitt) oder Reproduktionsfamilie/Kinship (Haraway) bewusst? Was haben Gäste, Fremde, romantische Liebe, Brüder und Schwestern mit der Freundschaft zu tun? Gibt es spezielle Freundschaften wie die Kinderfreundschaft, die Mädchenfreundschaft, Sisterhood, die Bromance? Wie unterscheidet sich ein Freundeskreis von anderen Kollektivitäten (Netz, Schwarm, Crowd)? Gibt es so etwas wie eine Freundschaft mit sich selbst (Michel Foucault)? Kann ein literarischer Text uns freundschaftlich adressieren? Ein Kunstwerk uns zu Freund:innen machen? Im Seminar wollen wir uns mit den gesellschaftlichen und medialen Bedingungen, den politischen und individuellen Modi von Freundschaft auseinandersetzen. Neben der Lektüre von literarischen und theoretischen Texten sollte die Bereitschaft bestehen, sich mit klassischen kulturellen Artefakten aus dem Bereich Kunst, Films, Musik, Theater und neuen Formen des digitalen Zeitalters zu beschäftigen.

Oberseminar Politik der Affekte

Wintersemester 2021/22

Vorlesung Digitale Kulturen

In der Vorlesung soll über eine breite Skizze zentraler Phänomene der digitalen Kultur ein Begriff derselben erarbeitet werden, der sich nicht in einer Sprache der Quantifizierung, Datafizierung oder der Überwachungsdystopien verliert. Vielmehr soll es darum gehen die kulturelle Seite der Digitalisierung in den Blick zu nehmen, um einer Verarbeitung und Beobachtung durch die Literatur und die Kunst besser verstehbar zu machen. Dazu sollen einzelne Phänomene wie Glitch, Buffer, Echo, Swipe genauso untersucht werden wie unterschiedliche Kommunikations- und Teilhabe-Kulturen wie Hashtag, Cancel Culture, Counter Culture, Maker Culture, spezifische Medienpraktiken wie Ghosten, Trollen oder Bildpraktiken wie Memes, Selfies oder Gifs. Dabei wollen wir uns gemeinsam auch die unterschiedlichen Plattform-Kulturen von Youtube, Twitter, Instagram, Twitch oder  Digitale Kultur, so die Hypothese, die der Vorlesung zu Grunde liegt, erhöht den Legitimationsdruck auf die Literatur, kann aber auch zu einem Revival ihrer einstigen Funktion als Selbstbeschreibung der Gesellschaft revitalisieren.

Seminar Hochstapler, Angestellte, Projektemacher, Tänzerinnen – Literarische Figuren der 1920er

Literatur, Film, Kunst und Feuilleton der 1920er Jahre haben eine Vielzahl an Sozialfiguren entweder aus dem 19. Jahrhundert übernommen oder zeitspezifisch profiliert. Im Seminar wollen wir gemeinsam nach den Sozialfiguren der Weimarer Republik fragen, bewährte wissenschaftliche Kategorisierungen prüfen und sehen, wie die Literatur mit den Typisierungen umgeht, wie sie durch ästhetische und narrative Inszenierungen Stereotypen und Typen operationalisiert, konterkariert und erfindet. Zu Wort kommen sollen neben den literarischen Autor:innen (Irmgard Keun, Vicki Baum, Robert Müller, Franz Kafka, Erich Kästner etc.) auch essayistische Beiträge u.a. von Vicki Baum (zur Neuen Frau), Walter Benjamin (zum Flaneur), Siegfried Kracauer (zu den Angestellten) oder Ernst Jünger (zum Arbeiter). Zusammen wollen wir an einem Katalog arbeiten, der uns erlaubt Zugriff auf die ereignisreiche Zeit zwischen den Kriegen zu erhalten.

Seminar Was ist (k)ein Publikum?

Literatur, Film, Kunst und Feuilleton der 1920er Jahre haben eineWenn man sich mit Populärkultur auseinandersetzt, ist die Frage nicht ganz unerheblich, wie sich das Populäre überhaupt beschreiben und erfassen lässt. Ist das Populäre das, was dem Durchschnitt gefällt bzw. bei vielen Beachtung findet? Wer sind die Vielen? Sind sie das Publikum? Die Öffentlichkeit? Eine anonyme Masse? Wie verhält sich das Publikum zur Gesellschaft? Ist das Publikum notwendig an ein geplantes Ereignis gebunden? Oder ergibt es sich vielleicht auch zufällig? Was muss vielleicht im Vornherein geschehen, damit etwas bei vielen bzw. einem breiten Publikum Beachtung findet? Im Seminar wollen wir uns gemeinsam der Frage widmen, was ein Publikum ausmacht und ab wann historisch das Konzept vom Publikum überhaupt auftaucht. Dabei wird uns die Frage beschäftigen, ab welcher Anzahl von Personen überhaupt von einem Publikum zu sprechen ist. Welche medialen und räumlichen Situationen dazu beitragen, ein Publikum zu generieren. Außerdem wollen wir nach der Macht und dem Einfluss des Publikums auf öffentliche und gesellschaftliche Entscheidungen fragen. Von Interesse soll außerdem die ästhetische Steuerung und Manipulation von Publikumswahrnehmungen sein. Dabei sollen nicht nur neuere theoretische Modelle zum Schwarm, Netzwerk oder zur Multitude in Relation zu klassischeren Überlegungen zum Publikum gesetzt werden, sondern auch Hybridisierungen von Konsumenten und Publika in den digitalen Figurationen vom User* oder Follower*. Im Seminar werden pro Sitzung jeweils ein theoretischer Text mit einem ausgewählten Beispiel in Dialog gebracht, um die Thesen praktisch zu prüfen und herauszufordern. Vielzahl an Sozialfiguren entweder aus dem 19. Jahrhundert übernommen oder zeitspezifisch profiliert. Im Seminar wollen wir gemeinsam nach den Sozialfiguren der Weimarer Republik fragen, bewährte wissenschaftliche Kategorisierungen prüfen und sehen, wie die Literatur mit den Typisierungen umgeht, wie sie durch ästhetische und narrative Inszenierungen Stereotypen und Typen operationalisiert, konterkariert und erfindet. Zu Wort kommen sollen neben den literarischen Autor:innen (Irmgard Keun, Vicki Baum, Robert Müller, Franz Kafka, Erich Kästner etc.) auch essayistische Beiträge u.a. von Vicki Baum (zur Neuen Frau), Walter Benjamin (zum Flaneur), Siegfried Kracauer (zu den Angestellten) oder Ernst Jünger (zum Arbeiter). Zusammen wollen wir an einem Katalog arbeiten, der uns erlaubt Zugriff auf die ereignisreiche Zeit zwischen den Kriegen zu erhalten.

Oberseminar Das Politische

Wintersemester 2020/21

Seminar Kontrollgesellschaft

Mit seinem kleinen Text Postskriptum zu den Kontrollgesellschaften (1990) legte Gilles Deleuze eine Neujustierung seines Werks vor, sowie ein Fundament, um die gesellschaftliche Wende weg von der sogenannten Disziplinargesellschaft (Michel Foucault) begreiflich zu machen. Auf nur wenigen Seiten antizipiert Deleuze die toxische Verbindung von Digitalisierung und Neoliberalismus, die sich in den nächsten zehn Jahren vollziehen sollte. Die Kontrollgesellschaft, das ist jene Gesellschaft, die im Zeichen eines fortgestrittenen Neoliberalismus, das kybernetische Phantasma führerloser, aber auf Kontrolle basierter Steuerungsprozesse wahrmacht. Während in der Soziologie, der Politikwissenschaft und den Medienwissenschaften Deleuze’ Konzept von den „Kontrollgesellschaften“ mittlerweile zu einem gängigen Bezugspunkt geworden ist, bleibt in der Literaturwissenschaft bisher die Prüfung des Konzepts für die Literaturen der Gegenwart aus. Zwar haben die Digital Humanities großflächig Berücksichtigung in den verschiedenen Philologien gefunden, nicht zuletzt im Hinblick auf eine Frage nach den Produktionsbedingungen auf dem Buchmarkt, auch der Archivierung, Distribution und der Innovation von Recherchemethoden wird große Aufmerksamkeit geschenkt. Die spezifische Frage nach der Gegenwartsliteratur, als eine, die uns nicht nur gegenwärtig ist, sondern nach der Beschaffenheit und Gegebenheit von Gegenwart im Kontext der Kontrollgesellschaft zum Gegenstand hat, wird bis dato in der deutschen Literaturwissenschaft geradezu stiefmütterlich behandelt. Allenfalls lassen sich Rückfälle in disziplinargesellschaftliches Vokabular finden. Ob diese Bestandsaufnahme, ein Phänomen der deutschen Literatur oder der deutschen Literaturwissenschaft ist, wollen wir gemeinsam in diesem Seminar herausfinden. Wir wollen die Literatur auf ihr Wissen von der Gegenwart in Bezug auf Digitalisierung, Neoliberalismus, und fluide Subjektentwürfe sowie alternative politische Modelle etc. befragen. Voraussichtlich werden zu den Primärtexten folgende Literaturen zählen: Juli Zeh Corpus Delicti; Sybille Berg GRM; Leif Randt Allegro Pastell.

Seminar Die Heilige Familie

In Fortsetzung zu dem im Sommersemester abgehaltenen Seminar „Die Mutter“ soll in diesem Semester die Frage nach der strukturellen Überforderung der Kleinfamilie im Zeitalter des globalen Neoliberalismus thematisch werden. Wir wollen nach Modellen von Elternschaft, und Kindererziehung suchen, die Vorstellung vom klassischen Familienverbund, das Ideologem der (genetischen) Herkunft und Abstammung, die Idee vom Kind als Eigentum sowie die sillschweigende Übereinkunft der Privatisierung von Fürsorge und Bildung herausfordern und umdenken. Dabei sollen (literarische) Texte untersucht werden, die sich einer Erforschung der Überforderungszusammenhänge im Kontext neoliberaler Arbeitsverhältnisse, dem Scheitern von Glücksversprechen und der Dekonstruktion von Erfolgserzählungen von der (heiligen) Familie widmen. Außerdem wollen wir literarische und theoretische Texte lesen, die Alternativen ausloten oder vorstellen. Dabei wollen wir vor allem, wie schon im letzten Semester, eine globale Perspektive einnehmen und das Gefälle zwischen ausgefeilten Reproduktionstechnologien mit bis zu biologisch fünf Elternteilen im globalen Norden und mangelnder Geburtenkontrolle sowie hoher Kinder- und Müttersterblichkeit im globalen Süden im Blick behalten. Gerade dieser Big Divide soll uns als Korrektiv von radikalen ideologiekritischen wie akzelerationistischen Ansätzen dienen. Wir wollen fragen, inwiefern die Diversifikation von genetischer Abstammung und Familie gleichermaßen als Utopie und Dystopie funktionalisierbar ist.

Sommersemester 2020

Vertretung der Professur für Medienwissenschaft und Neuere dt. Literatur, TU Dresden

Vorlesung Medien und Einfluss

Im Fokus der Vorlesung steht der Zusammenhang von Medien und Einflussnahme. Nicht nur durch die Konjunktur der Social Media Influencer*innen erfährt der Begriff des Einflusses momentan über die Grenzen der Psychologie hinaus eine neue Karriere. Vor allem im viel diskutierten postfaktischen Zeitalter wird wieder über mediale Einflussnahme im politischen und sozialen Diskurs gesprochen. Im Rahmen der Vorlesung wollen wir einzelne Fälle von medialen Hype genauer unter die Lupe nehmen, Taktiken des (visuellen) Einflusses genauso wie Phänomene des Going Viral analysieren. Dabei sollen Anschlüsse an Theorien der Digitalisierung, zum Plattformkapitalismus genauso wie zur Kontrollgesellschaft aufgezeigt werden. Die Vorlesung gliedert sich in drei große Blöcke, so wollen wir zunächst (1) Grundfragen und Modelle der allgemeinen Medientheorie besprechen, dann auf auf den (2) Theorien rund um die Scharnierbegriffe ,Plattformkapitalismus‘ und ,Masse‘ eingehen, um schließlich (3) digitale Medienontologien (Utube, TikTok, twitter, Instagram, Pinterest, Facebook, Messenger-Dienste etc.) und ihr Potenzial zur Einflussnahme näher in den Blick zu nehmen.

Seminar Under the Influence – Figuren, Formen und Medien der Einflussnahme

A Woman under the Influence (1974) lautet der Titel eines wunderbaren Films von John Cassavetes, der die Geschichte einer Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs und ihrer Familie erzählt. Um die manisch-depressiven Zustände seiner Frau zu beschreiben, greift der Ehemann auf die Generalformel „under the influence“ zurück. Einfluss ist die Metapher für eine unerklärliche, unkontrollierbare und nicht rückführbare Kraft, die auf Körper und Geist wirkt. Auch jenseits dieser Metapher wollen wir im Seminar mediale Szenen der Einflussnahme, aber auch Poetik, Genese und Logik solcher Szenen befragen. Nicht nur das digitale Zeitalter kennt Phänomene des Hypes, auch die Geschichte der Literatur kennt Beispiele, die unmittelbar Einfluss auf Lesende zeitigten (etwa den Werther-Effekt). Seit der Aufklärung gelten magnetistische, mesmeristische, psychologische Modelle der Einflussnahme auf Individuen und Menschenmengen als Risiko für eine aufgeklärte, moderne Gesellschaft. Lange Zeit verschwindet der Begriff aus dem Vokabular der geisteswissenschaftlichen Theorie, besonders im Zuge des Poststrukturalismus wird er gänzlich durch den flexiblen Begriff der Macht (Michel Foucault) ersetzt. Im Zeitalter des Postfaktischen, der Digitalisierung und der Postdemokratie gerät Einfluss (Influence) wieder in den Interessensfokus.

Im Seminar wollen wir an ausgewählten Beispielen (Literatur, Film, Musik, Serien, soziale Medien) gemeinsam Figuren der Einflussnahme (etwa Autor*innen, Eltern, Lehrer*innen, Stars/Ikonen, politische Führer*innen, Medienfiguren etc.) im Zusammenspiel mit Techniken (Ikonizität, Gestik, Rhetorik etc.) sowie Formen und Medien des Einflusses (Flugblatt, Film, Popkultur, Musik, Soziale Medien, Geld, Mode, Werbung etc.) analysieren

Das Seminar versteht sich als Vertiefung zur Vorlesung „Medien & Einfluss“, umgekehrt wird der Besuch der Vorlesung als Ergänzung zum Seminarbesuch empfohlen.

Seminar Die Mutter

Die Mutter steht spätestens seit der Psychoanalyse im Kreuzfeuer kindlicher Entwicklung. Als Figur der Einflussnahme schlechthin entscheidet sie über Leben und Tod, über Glück und Unglück, zukünftige Beziehungen, gelungene Bildung, sozialen Erfolg und psychische und physische Gesundheit des Kindes. Als Behältnis und Katalysator steht sie am Anfang jeder männlichen Entwicklungsgeschichte. Als Projektionsfläche ist die (künftige) Mutter Zentrum bürgerlicher Moral und steht dennoch in der Peripherie literarischen Interesses. Die Transformation zur Mutter als prekäre Entwicklungsgeschichte ist in der Geschichte der Literatur keine weibliche, sondern eine durchweg männliche: potenziell gefährdete Töchter, Schwestern, Cousinen oder Dienstmädchen werden zum Gradmesser einer (dys)funktionalen Gesellschaft und einer sich bewährenden Männlichkeit. Eine eigene Stimme haben sie nicht. Lange Zeit galt Mutterschaft als angestaubtes Thema von Ratgeberliteratur und als Befreiungsthema des Feminismus.

Das 21. Jahrhundert schließlich entdeckt die Mutter als postfeministische Krisenfigur neu. Mutterschaft wird in diesen Texten durchweg als eine Transformationsgeschichte als ein Becoming wider Willen erzählt, ein Becoming für das soziale Raster fehlen. Eines wird zunehmend deutlich, die Sehnsüchte einer körperlosen Reproduktion des Cyberfeminismus (etwa von Donna Haraway) scheinen nicht mehr allzu befremdend: Denn Mutterschaft und neoliberale Subjektentwürfe das geht nicht gut zusammen, umgekehrt scheint eine Rückkehr in eine fordistische Gesellschaft mit klassischen Familienmodellen längst nicht mehr ökonomisch zeitgemäß.

Im Seminar wollen wir Gegenwartstexte auf ihr Wissen befragen, Erzählstrategien des Becoming-Mother prüfen und vor allem das Verhältnis von Autorinnenschaft, Schreiben und Mutterschaft im Kreuzungspunkt von Natur und Kultur in den Blick nehmen.

Gemeinsam wollen wir, in Begleitung einiger Sekundärklassiker (Barbara Vinken: Die deutsche Mutter, Elisabeth Badinter: Mutterliebe, Darcy Lockman: All the Rage: Mothers, Fathers, and the Myth of Equal Partnership), folgende Texte lesen: Rachel Cusk: A Life’s Work: On Becoming a Mother (2001); Sheila Heti: Motherhood (2018); Antonia Baum: Stillleben (2018); Maggie Nelson: The Argonauts (2015); Anke Stelling: Fürsorge (2017)

Seminar Superanthrocosmotechnomythopoiesis Vol. 2

Superanthrocosmotechnomythopoiesis ist ein Kunstwort, ein Verlegenheitsbegriff der seine eigene Insuffizienz und den Umstand begrifflicher Inkommensurabilität durch Poppins’sche Popanz zu kompensieren sucht. Der Begriff ist tentativ, heuristisch und freilich selbstironisch konzipiert und soll uns im Seminar als Leitfaden und Prüfstein für die Hypothese gelten, dass (literarisches) Erzählen in der Relation zu einer (je unterschiedlich verfassten) Weltzeit evolviert. Unter „Weltzeit“ sind die verschiedenen religiösen, philosophischen oder naturwissenschaftlichen Konzeptionen vom Entstehen und Vergehen der Welt, von ihrem Bestehen als Zyklus oder Entwicklungsgeschichte, und den daran gekoppelten temporalen Modalisierungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft oder ewiger Wiederkehr (etwa der Jahres- und Gezeiten) zu verstehen. Die jeweilige Vorstellung der Weltzeit, so die Hypothese, steht in einem besonderen Verhältnis zu ihrer Ausdrucksform dem Erzählen. Erzähltechnische Variationen, Erweiterungen und Verschiebungen etwa der Relation von Erzählzeit und erzählter Zeit lassen sich in Krisenmomenten der geltenden Weltzeit verzeichnen. Ein klassisches Beispiel etwa für das Kollidieren von Erzählzeit und erzählter Zeit ist The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman (1756-1767) von Lawrence Sterne. Auch Marcel Prousts A la recherche du temps perdu (1913-1927) gilt als ein solcher Klassiker der Weltliteratur, insofern er die moderne ästhetische Lösung für die Frage nach der Zeitlichkeit von Gedächtnis und Erinnerung darstellt. Beide Texte tauchen an Schwellenzeiten auf, in denen grundsätzlich die geltende Konzeption der Weltzeit in Frage steht: Sternes Roman lokalisiert sich am Ende des Barock, in dem die göttliche Zeit- und Weltordnung nach Kopernikus’ und Galileos Entdeckungen endgültig obsolet geworden ist. Prousts Roman entsteht in den Umbruchsjahren des jungen 20. Jahrhunderts, das noch unter Schock von den Folgen des Ersten Weltkrieges sowie revolutionärer wissenschaftlicher Erkenntnisse von der Evolutionstheorie über den Zweiten Thermodynamischen Hauptsatz bis hin zu Allgemeiner und Spezieller Relativitätstheorie steht. Sterne und Proust bringen gigantische Erzählexperimente hervor, superanthrocosmotechnomythopoietische Ambitionen haben sie indes nicht. Sie spielen vorerst „nur“ mit der Zeit des Erzählens. Erzählungen jedoch, die den Anspruch haben, schlichtweg nicht weniger als ALLES zu erzählen, das Entstehen und Vergehen der Welt, einschließlich der Natur, des Lebens, des Planeten, der Menschheit, der Technologie, der Kultur, des Kosmos, einschließlich der Bedingung der Möglichkeit von Erzählen schlechthin feilen an einer Superanthrocosmotechnomythopoiesis. Sie sollen als das erzählerische Äquivalent zu so genannten Supertheorien – das sind Theoriebildungen, die den Anspruch haben Alles zu erklären, einschließlich sich selbst – gefasst werden. Gerahmt von modernen (Super-)Theorien des Anthropozäns, die irritiert von der geologischen Beobachtung, dass der Mensch irreversible Spuren in den Tiefenschichten der Erde hinterlassen hat, und der daran gekoppelten These, dass die etablierte Vorstellung von einer Unterscheidung von Natur und Kultur obsolet geworden ist, wollen wir gemeinsam drei Texte auf ihr Potenzial zur Super-Erzählung befragen: Nuval Yuval Hararis Eine kurze Geschichte der Menschheit (2011); Judith Schalanskys Der Hals der Giraffe. Ein Bildungsroman (2012); Dietmar Daths Die Abschaffung der Arten (2008).

Wintersemester 2018/19

Breaking Brecht (zs. mit Julius Nordheim)

 „Brecht gebrauchen, ohne ihn zu kritisieren, ist Verrat“ (Heiner Müller)

Mit Breaking Brecht wollen wir uns mindestens auf drei Ebenen des Bruchs bei Brecht widmen. 1) Verfahren und Motive des Bruchs ziehen sich quer durch das Werk und die Rezeption eines der größten deutschen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts. Bertolt Brecht hat nicht nur selbst sein Schaffen immer wieder radikal neugeordnet – von den frühen Stücken „Baal“ (1922) oder „Trommeln in der Nacht“ (1922) im Zeichen des Expressionismus, über den ersten großen Welterfolg mit der „Dreigroschenoper“ (1928) und dem Entwurf eines „epischen Theaters“ eigener Prägung (nach der Verbrennung und dem Verbot seiner Werke in Deutschland) bis hin zum Spätwerk in der Nachkriegs-DDR. 2) Auch die für ihn prägnanten ästhetischen Verfahren der Verfremdung und Störung eines einfühlenden und auf Identifikation zwischen Publikum und Schauspielenden ausgerichteten Theatererlebnisses sprechen die Sprache eines Auf- und Umbruchs, nicht zuletzt, was die konkrete politische Ausgangssituation der Weimarer Republik anbelangt. 3) Hinzu kommt sein Rat, die überzeitliche Dauer eines Werks und seine Bewahrung zu verabschieden und mit Verweis auf ihren „Materialwert“ deren Einzelteile bedenkenlos „herauszuhacken“ und wiederzuverwenden.

Das Seminar fragt genau nach diesen Brüchen und Umbrüchen in Werk, Wirken und konkreter Praxis des gebürtigen Augsburgers und unfreiwilligen Berliners und versucht zudem anhand theoretischer, ästhetischer und gesellschaftspolitischer Reibungspunkte einen Zugriff auf Brecht zu erlangen, der die Wirkmacht seiner Konzepte im deutschen Theater wie auch in der internationalen Populärkultur auszuweisen versteht. Zur Kontextualisierung bezieht sich das Seminar dafür auch auf zeitgenössische Stimmen der 20er und 30er Jahre und spürt der medialen Breite und damit medienperspektivischen Brechungen im Hörspiel „Der Ozeanflug“ (1929) oder in Filmen wie „Mysterien eines Frisiersalons“ (1923) und „Kuhle Wampe“ (1932) nach um sich der Frage anzunähern inwiefern heute mit diesem vielfältigen Schriftsteller und Regisseur gebrochen werden kann und muss und wo es darum geht, den Materialwert einzelner Versatzstücke seines Werks zu erkennen und zu gebrauchen.

F for Freud

1974 erscheint Orson Welles’ letzter Film. F for Fake, eine Art Dokufiktion, läutet die filmische Postmoderne ein, indem die Grenzen zwischen Fakten und Fiktion ebenso verwischt wie die Parameter der Wahrheitsfindung verunsichert werden. Mit F for Fake gelingt es Welles, eine an den Idealen der Autonomieästhetik orientierte Auffassung von Originalität und Individualität, die allein für die Produktion von Kunst maßgebend scheint, als eine an unsere Erwartungshaltungen und Gewohnheiten gekoppelte vorzuführen. Orson Welles fordert sein Publikum dazu auf, die Vorstellungen von Souveränität und Individualität preiszugeben, um auf den performativen und narrativen Charakter bei der Verfertigung von Fakten zu blicken. Nichts Anderes hat Sigmund Freud mit seiner Psychoanalyse unternommen, jedoch mit weit größerem Effekt. Er ist Stichwortgeber sowie Feind der literarischen Moderne. Seine Werke lieferten der Literatur nicht nur neue Gegenstandsbereiche, sie forderten geradezu zu einer Revision des literarischen Psychologismus heraus. Im Seminar wollen wir uns einen Überblick über Freuds Werk verschaffen und nachvollziehbar machen, wie der historische Freud produktive Impulse für die Literatur gesetzt hat, wo er Deutungsverfahren der Literaturwissenschaft antizipiert und wo eine Absetzung von seiner Terminologie dringend notwendig ist. Obwohl teilweise vollkommen zurecht zahlreiche Ressentiments gegen eine psychoanalytische Literaturwissenschaft bestehen, sollen im Seminar Grundkenntnisse der Freud’schen Begriffe, sowie seiner Reflexionen über Kunst, Kultur, Literatur und die Psyche erworben werden. So wollen wir etwa das kulturgeschichtliche Phänomen des Inzestverbots in Totem und Tabu (1913) verstehen. Seine Begriffe „Wiederholungszwang“ und „Todestrieb“ in Jenseits des Lustprinzips (1920) nachvollziehen. Das Verhältnis von Masse und Individuum, wie es Freud in Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921) dargelegt hat, in Relation zu seinen Beobachtungen zur Kultur und Ich-Psychologie in den Texten Das Ich und das Es (1923) und Das Unbehagen in der Kultur (1930) verstehen. Gerade für die Literaturwissenschaft gelten insbesondere seine Ausführungen zum Unheimlichen (1919) und zum Witz (1905) als Klassiker, die zumindest eine partielle Auseinandersetzung mit Freuds Werk unabdingbar machen. Über 100 Jahre später zählt Sigmund Freuds Werk zu jenen, die zu den großen Kränkungen des Menschen beigetragen haben. Diese Kränkung ist bis heute weder geheilt noch ist die Quelle an unerschöpflicher Kreativität, die diese Kränkung freigelegt hat, versiegt. Denn die Rede vom „Ich“, das im eigenen Haus nicht (mehr) Herr ist, hat den Rechtsdiskurs ebenso wie die Kunst, die klinische Pathologie wie die Literatur, die Ökonomie wie das Erziehungssystem nachhaltig verändert.

Sommersemester 2018

Dinge machen Sachen

Ding-Theorien sind en vogue und das nun fast mehr als zwei Jahrzehnte. Immer wieder rücken sie in Form neuer Theorie-Modelle, etwa der Akteur-Netzwerk-Theorie (Bruno Latour), der Object-Oriented-Ontology (Harman), des Neuen Materialismus (Karan Barad) oder einer dingfokussierten Wissenschaftsgeschichte (Hans-Jörg Rheinberger) in den Fokus der theoretischen Aufmerksamkeit. Ob ein „Ding“ in den jeweiligen Modellen eben als Ding, Medium, Objekt, Sache oder Gegenstand konzeptionalisiert wird, scheint den Unterschied schlechthin zu machen. Als Dinge widersetzen sie sich, entwickeln eine Art Eigenleben oder Eigendynamik, interagieren und reagieren und entwickeln neuerdings auch Gefühle. Als Objekte oder Gegenstände hingegen unterliegen sie der menschlichen Verfügungsgewalt, werden monokausal in Handlungsketten eingespannt. Als Medien wiederum kommt ihnen jeweils vermittelnde oder störende Funktion zu. Dass die Dinge in den Fokus einer kultur- und sozialwissenschaftlichen Aufmerksamkeit rücken, ließ sich bereits um die vergangene Jahrhundertwende vom 19. ins 20. Jahrhundert beobachten. Veränderte gesellschaftliche Verhältnisse in Folge einer globalisierten Ökonomie, kleiner und großer technischer und wissenschaftlicher Revolutionen affizieren nicht nur das menschliche Miteinander, sondern auch die Interaktion zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren. Allerhand Dinge machen sich in literarischen Texten, in Filmen und auf Fotografien selbstständig. Die Ästhetik, Präsenz und Präsentation des Dings, seine sozialen Funktionen beschäftigt eine Vielzahl von Autor*innen. Ausgehend von modernen Theoriebildungen (Latour, Rheinberger, Kohl, Böhme) wollen wir Texte von Polgar, Kafka, Rilke, Baum, Benjamin, Richter u.a. auf den Charakter der Dinge befragen.

Affekte

Gemütsbewegungen, Triebe, Pathosformeln, Gefühle, Emotionen, Affekte – die andere Seite der Vernunft ist seit der Antike immer wieder Gegenstand von philosophischer Reflexion und ästhetischer Bearbeitung. Neuerdings erfahren insbesondere die Affekte in den Medienkulturwissenschaften erhöhte Aufmerksamkeit. Nicht zuletzt die Frage nach den sozialen Medien stieß bei einer rein technizistisch orientierten Medienwissenschaft an ihre Grenzen, denn entscheidend ist ja gerade die Fähigkeit der sozialen Medien (Facebook, Twitter, Instagram etc) und ihrer Apparate (etwa das Smartphone oder das Tablet), Affekte der User*innen zu modulieren. Das Seminar nun möchte einerseits die gegenwärtigen Affekttheorien und Tendenzen affektorientierter Studien, andererseits das historische Wissen der Literatur auf die Rolle der Affekte befragen. In einer allgemeinen Einführungssitzung (12.04., 11:10-14:30) wird auf den Workshop „Affekt/ionen“ (19./20. April) im Kontext der Forschung des SFB „Invektivität“, der unterschiedliche Wissenschaftler*innen zum Thema Affekte versammelt, vorbereitet. Der Besuch des Workshops im Rahmen des Seminars ist Pflicht, hier können erste Prüfungsleistungen in Form von Protokollen abgelegt werden, die wir im Nachgang gemeinsam besprechen. In den verbleibenden Sitzungen wollen wir gemeinsam einen Blick auf die Affekte in Philosophie (Schopenhauer), Theater (Wedekind), Film (Pabst), Biologie (Darwin), Literatur (Musil, Kafka), Fotografie (Freud, Charcot) werfen, um die Moderne als Sattelzeit der gegenwärtigen Affekttheorien zu verstehen.

Wintersemester 2017/2018

Abstraktion und Einfühlung

„Abstraktion und Einfühlung: Ein Beitrag zur Stilpsychologie“ lautet der Titel der Dissertation des Kunsthistorikers Wilhelm Worringer von 1908. Obgleich im gängigen Kanon der (germanistischen) Literaturwissenschaft nicht gelistet, gilt diese Arbeit als eine der einflussreichsten Schriften des 20. Jahrhunderts. Worringers in zahlreiche Sprachen übersetzte Dissertation bestimmte wesentlich den deutschen Expressionismus mit, zeitigte aber auch unmittelbare und mittelbare Effekte auf die Literaturen und kulturtheoretischen wie kunsthistorischen Schriften der Weimarer Republik. In der Wiege der Moderne trägt die Schrift Worringers die Signatur einer Zeit, die beginnt historische Epochen auf ihre konzeptionellen Manifestationen in Stil, als Relation von Form und Medium, zu befragen. Das Ringen der Literatur spätestens seit 1900 um das Verhältnis von Abstraktion und Einfühlung, Nähe und Distanz, Abstraktion und Konkretion, Metapher und Literalität, Innen und Außen, Verdrängung und Projektion, Symbol und Zeichen, Materialität und Immaterialität, Sichtbarem und Unsichtbarem, Gestalt und Gestaltlosigkeit unter den Schlagworten „Krise der Repräsentation“, „Sprachkrise“ der „Krise des geistigen Lebens“ ringen, soll Gegenstand des Seminars sein. Gemeinsam wollen wir ausgewählte theoretische Schriften (Friedrich Th. Vischer, Wilhelm Dilthey, Erich Auerbach, Ernst Cassirer, Georg Simmel, Erwin Panofsky, Hermann Bahr), literarische Erzählungen  (Hoffmannsthal, Kafka, Musil, Tergit, Kolmar, Fleißer, Benn, Brecht) und Kunstwerke (Impressionismus, Expressionismus, Surrealismus, Dada etc.) auf die Relation von Abstraktion und Einfühlung befragen.

Zudem wollen wir Worringers Begriff des Anorganischen und dessen Anziehungskraft auf die Philosophie etwa Gilles Deleuzes’ oder dessen Effekte auf gegenwärtige Tendenzen wie die Object Oriented Ontologie, Ding-Theorien oder den New Materialism befragen.

Sommersemester 2017

Deleuze denken

Gilles Deleuze gilt nicht nur unter bekennenden Deleuzianier*innen als der letzte große Philosoph. Doch ist diese Ansicht in der akademischen Philosophie umstritten, sie zu vertreten geradezu riskant. Deleuze, zwar ein ausgewiesener Kenner der weitverzweigten Philosophiegeschichte, hat selten Wert darauf gelegt, Positionen oder Traditionen gemäß der logizistischen Begrifflichkeiten zu rekonstruieren. Vielmehr ist seine Philosophie insbesondere seit der Zusammenarbeit mit Felix Guattari von einer eigentümlichen ursprünglichen Zugänglichkeit, einer Literalität gekennzeichnet, die Spinnern gleichermaßen die Türen und Tore öffnet wie sie akademischen Philosophen das Wort der Unvernunft redet. Für die Literatur- und Medienwissenschaft hingegen gilt er als große und unerschöpfte Inspirationsquelle. In konzentrierter Lektüre wollen wir uns über die keyconcepts Zugänge zu seinem „Werk“ verschaffen. Michel Foucault hat über Deleuze in seiner eigentümlich paradoxen Art prognostiziert, dass das gesamte 21. Jahrhundert deleuzianisch werden könnte, oder auch nicht. Zwar ist das späte 20. Jahrhundert und noch das 21. Jahrhundert foucaultianisch geprägt; ob das so bleiben wird oder soll, wollen wir im Seminar zur Diskussion stellen. Das Seminar richtet sich ausschließlich an interessierte und geduldige Leser*innen. Hauptsächlich ist es als Lektürekreis konzipiert, in dem Kurzüberprüfungen in Form von Expertensitzungen abgelegt werden können. Deleuze erfordert Hingabe und Instinkt sowie die Bereitschaft, nicht Dieselbe oder Derselbe bleiben zu wollen, daher zur Hinführung oder eher als Kompatibilitätstest empfohlen:Gilles Deleuze|Félix Guattari: Rhizom, Berlin: Merve 1977 oder Gilles Deleuze|Félix Guattari: Kafka: Für eine kleine Literatur, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1976.

schwarz/weiß

schwarz/weiß ist der markante Einband der deutschen Übersetzung von Kritik der schwarzen Vernunft (2014) des afrikanischen Philosophen Achilles Mbembe. Und auch ohne eine Zeile dieses Werks gelesen zu haben, ist ersichtlich, dass es auf einen Problembestand einer kulturwissenschaftlich un- oder unterinformierten Geisteswissenschaft verweist. Denn die Kritik ist ein dem Logos anverwandtes Unternehmen in der griechischen (critein = unterscheiden) Philosophie wurzelnd und seit jeher ein spezifisch abendländisches, und besonders seit der Sattelzeit und den drei Kritiken Kants, ein westliches, weißes (und viriles) Geschäft. Hat uns die Aufklärung (Enlightment) sehr viel helles Licht gebracht, so hat sie auch zahlreich grau schattierte Zweifelzonen eingerichtet. Als äußerst produktiv haben diese sich in der Schauerromantik und der Gothic Novel erwiesen und den von der Vernunft ausgegrenzten Themen Bereiche des Obdachs geschaffen. Doch dass die Semantik von „Hell“ und „Dunkel“, „schwarz“ und „weiß“ spätestens mit einer Aufarbeitung der Kolonialisierungsgeschichte (und aktueller Klage gegen deutsche Kolonialverbrechen an den Herero und Nami) hätte in Verruf geraten müssen, ist in vielen Zusammenhängen bisher unbekannt und deutet auf versteckte Rassismen und gewollte Neorassismen hin. Nicht zuletzt diverse Politikerreden sind häufig von einer solchen belasteten Semantik durchdrungen und gehören einer strikten Revision unterzogen, denn das Gute, Schöne, Erhabene im Namen eines hellen und weißen Humanismus zu adressieren, verweist auf ähnliche Implikationen wie das Fremde als Dunkles, Verhülltes und Unkenntliches zu diffamieren. Auch in der politischen Aktionskunst werden Hautfarben und Semantiken bewusst und teilweise mit riskanten Implikationen eingesetzt (hierzu die Aktionen des Zentrum für politische Schönheit). Im Seminar wollen wir uns quer durch die Medien und Disziplinen (Philosophie, Ethnologie, Kulturtheorie und Essay, Literatur, Stummfilm, Tonfilm, Serie, Fotografie, Theater) den verschiedenen Konstruktionen und Dekonstruktionen von schwarz/weiß widmen. Dabei wollen wir internationale (popkulturelle) Formate im Crossmapping mit kanonisierter germanistischer Literatur vergleichen und Klassiker der Post Colonial Studies (Said, Fanon, Spivak, Bhabha) und ihre folgenreichen Einflüsse verstehen.

Die Metapher

Die Metapher gilt als zentrale Operation der Literatur, als rhetorisches Stilmittel wurde sie zunächst in der Rhetorik und Philosophie seit Aristoteles (Rhetorik, Poetik) zahlreichen Definitionsversuchen ausgesetzt. Während die antike Traditionslinie (etwa Quintilian, Cicero) die Metapher gegenüber den Begriffen eindeutig abwertet (Substitutionstheorie), setzt sich besonders mit Blumenberg die These durch, dass die Metapher das (noch) Unsagbare auf den Weg bringt. Max Black spricht etwa von der Metapher als Erkenntnismittel. So setzt sich die Interaktionstheorie mit dem Ansatz einer Bedeutungserweiterung der Substitutionstheorie entgegen. Entsprechend unterschiedlich wird die Metapher in die Nähe zum Vergleich, zum Gleichnis, zur Katachrese, zum Bild oder zur Metonymie gesetzt. Im Seminar sollen auch diese angrenzenden oder verwandten Stilmittel untersucht werden und an ausgewählten und gemeinsam auszuwählenden kurzen literarischen Beispieltexten geprüft werden, welche Definitionen für die Literaturwissenschaft produktiv sind und vor allem, ob die Literaturen nicht selbst poetologisch Stellung zu schematischen und rhetorischen Theorien beziehen sowie retroaktiv die Metapher formen (etwa bei Robert Musil oder Franz Kafka). Dabei soll vor allem auch die psychoanalytische Tradition einbezogen werden (Freud, Lacan, Derrida), die mit Freuds „Verschieben“ und „Verdichten“ und Lacans linguistischer Revision (Metapher/Metonymie) explizite Nähe zu zeitgenössischen Literaturen und literaturwissenschaftlichen Überlegungen zur Verfremdung (Russischer Formalismus, Brecht etc.) aufweist. Ein besonderer Schwerpunkt des Seminars liegt in einer von antagonistischen Medienkonkurrenzen ausgelösten „Ikonisierung“ der Metapher; dabei sollen bisher zaghafte Ansätze zum Verhältnis von sprachlicher Metapher und visueller Metapher (Film, Video, Werbung) geprüft werden. Vorwissen ist wie immer nützlich, aber nicht ausdrücklich erwünscht. Das Seminar richtet sich an Anfänger und Interessierte gleichermaßen.

Wintersemester 2016/2017

Von Menschen und Medien.
Formprobleme der Moderne in Musils Mann ohne Eigenschaften (4stündig)

Ein Semester lang sollen ausgehend von einer punktuellen Close Reading-Lektüre verschiedene Perspektiven auf den schwarzen Monolithen der Deutschen Literatur geworfen werden. Der nach 21 Jahren Bearbeitungszeit bis zum Tode unvollendet gebliebene Roman Robert Musils greift alle zentralen Themen der Weimarer Geistesgeschichte auf und verfolgt diese bis zu ihren unheilvollen Wurzeln in die Antike zurück. Die Verflechtungen von Geschichte und Krise, Kapital und Sexualität, Mystik und Mathematik haben immer wieder Philosoph*innen, Literaturwissenschaftler*innen, Soziolog*innen und Kulturwissenschaftler*innen zu eingängigen, überraschenden wie abstrusen Theoriebildungen herausgefordert. Wir wollen uns einiger dieser Lektüren widmen sowie im Kontext der zeithistorischen medienkulturellen Entwicklungen Ansätze für eine medienwissenschaftliche Lektüre erarbeiten.

Sommersemester 2016

Passagen

Die Weimarer Republik wird in der Forschung retroaktiv gerne als historische Passage, als die Zeit „zwischen“ den Kriegen theoretisiert. Dass eine Zeit nicht um ihre Passagenartigkeit Bescheid wissen kann, versteht sich nach dem Modell der klassischen Historiografie von selbst. Dennoch soll auf einer Augenhöhe mit den Theorien und Leitmedien (Film und Roman) der Weimarer Republik die Figur der Passage als „unzeitgemäßes“ Beschreibungsmodell im Sinne von Friedrich Nietzsche erprobt werden, die Texte und Medienphänomene über ihr Wissen von „ihrer“ Zeit als eine des Umschlags und des Durchgangs durchforstet werden. Auffällig ist dabei, dass eine gezielte Aufmerksamkeit auf Orte des Durchgangs, des Wartens, des Abschweifens, des Konsumierens in der Kultursoziologie eines Siegfried Kracauers, eine visuelle Erprobung von Passagen als Blickkonstellation etwa in den Filmen von Fritz Lang sowie eine ästhetisch Funktionalisierung der Passage als Figur(ation) (Flaneur, Spur, Aura) und Gattung (Passagenwerk) etwa bei Walter Benjamin. In der Literatur lässt sich eine Verarbeitung von Orten des Durchgangs etwa von Bahnhöfen, Cafés (Irgmgard Keun) und Hotels (Vicki Baum und Joseph Roth) sowie eine gezielte Funktionalisierung von Durchgangsmedien wie Türen (etwa bei Kafka), aber auch Adoleszenz- und Geschlechterriten im Sinne Genneps (Thomas Mann) feststellen.

Im Seminar wollen wir die Passage als textuelle Gattung, visuelle Metapher, als epistemologische und ästhetische Figur(ation), als topologisches/topografisches Modell ebenso wie als und ethnologische respektive soziologische Praxis in den Blick nehmen.

Kunst = Kapital.
(Nicht-)ästhetische Theorien der Kunst

„JETZT IST DIE ARBEITTRAGENDE FÄHIGKEIT DAS KAPITAL. GELD IST JA GAR KEIN WIRTSCHAFTSWERT! DER ZUSAMMENHANG VON FÄHIGKEIT UND PRODUKT SIND DIE ZWEI ECHTEN WIRTSCHAFTSWERTE. SO ERKLÄRT SICH DIE FORMEL DES ERWEITERTEN KUNSTBEGRIFFES: KUNST = KAPITAL. DIE KREATIVITÄT DES MENSCHEN IST DAS WAHRE KAPITAL.“ JOSEPH BEUYS

Fast schon aufdringlich wird der Kunst (mindestens) seit der Pop Art und der ikonisch gewordenen Medienpräsenz Andy Warhols immer wieder unterstellt, dass sie vom Kapital durchdrungen sei, dass ihr Autonomie und Kritikfähigkeit durch eine Verschwisterung mit den Gesetzen des Kapitals endgültig abhandengekommen seien. Mit gigantischen Versteigerungssummen haben zuletzt Damien Hirst (mit For the Love of God
2007, für 75 Mio € bei Sotheby’s) und Jeff Koons (mit Balloon Dogs (Orange)
2013 für 58,4 Mio $ bei Christie’s), – ein Umweg über die Galerie, das Museum respektive eine konventionelle Ausstellung ist bei diesen Schwergewichten nicht mehr nötig –, unbestreitbar einen Paradigmenwechsel in die Welt der Kunst eingeführt. Unweigerlich tragen Milliardäre wie Bernhard Arnault, François Pinault oder Charles Saatchi dazu bei, Kunst für ihre globalen Marktstrategien zu instrumentalisieren. Auch deutschlandweit findet sich die Gegenwartskunst primär nicht mehr in öffentlichen Häusern, sondern in Privatsammlungen (etwa Falckenberg (Hamburg), Stoschek (Düsseldorf), Boros (Berlin), Götz (München)). Ob es sich bei diesen sichtbaren Umwälzungen um eine Ökonomisierung der Kunst oder um eine Instrumentalisierung ökonomischer Strukturen, eine kritikförmige Aneignung durch die Kunst handelt, wird Gegenstand unseres Seminars sein. Dabei wollen wir vor allem nicht-ästhetische Theorien und Modelle (Marx, Frankfurter Schule, Luhmann, Reckwitz, Danko) befragen, die uns den Zusammenhang von Kunst und Kapital erläutern, aber auch die Manifeste der Gegenwartskünstler_innen und Stellungnahmen der Sammler_innen befragen. Nicht zuletzt wird uns die literarische Befragung, wenn denn die Literatur vielleicht der letzte Gegen-Diskurs sensu Michel Foucault ist, des Verhältnisses von Kunst und Kapital beschäftigen; dazu werden uns die Romane Karte und Gebiet (2010) von Michel Houellebecq und Johann Holtrop (2012) von Rainald Goetz beschäftigen.

Wintersemester 2015/2016

Blockseminar „Kunst + Soziologie“
(gemeinsam mit Moritz Mutter, 7.-9. Oktober 2015)

Seit sich das offene Kunstwerk (Eco 1973) zu einer relationalen Ästhetik (Bourriaud 2002), die das Soziale thematisiert und soziale Beziehungen stiften soll, entwickelt hat, stellt sich mehr denn je die Frage, wie das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Kunst zu beschreiben ist. Der Rätselcharakter des Kunstwerks (Adorno), welcher in seiner theoretischen Modellierung die Konzentration auf einen exemplarischen und singulären Rezipienten erfordert, franst mit einer relationalen Ästhetik, wie sie die Gegenwartskunst auszeichnet (Rebentisch 2014), in die soziale Situation aus. Im Happening, in der Performance oder Installations-Kunst wird Kunst plötzlich unbestimmt, sie löst sich vom konkreten materiellen Gegenstand und verlagert sich in einen Moment der Teilhabe oder sozialen Interaktion. Sie ist instantan, flüssig, entgrenzt und fordert klassische Beschreibungsmodelle der philosophischen Ästhetik ebenso heraus wie sie Kunsthistorik als historische Disziplin vor ihre Grenzen stellt. Die Tendenz der relationalen Ästhetik lässt sich zwar noch historisieren, ihre Verquickung mit anderen Funktionssystemen (Reckwitz 2012), die damit einhergehende Delokalisierung – Gegenwartskunst findet sich nicht mehr primär im Museum, in der Galerie oder auf großen Kunstmessen, sondern im öffentlichen (analogen wie digitalen) Raum – wirft Fragen auf, die nach einem interdisziplinären Zugriff verlangen, insbesondere aber die Expertise der Soziologie adressieren.

Kunstsoziologische Ansätze, die sich von Fragen einer philosophischen Ästhetik (das heißt dem Zusammenhang vom Wahren, Guten und Schönen) absetzen und erstmals nach dem Zusammenhang von Ästhetik und Gesellschaft fragen, sind mit einer großen Konjunktur insbesondere seit Anfang des 20. Jahrhunderts zu verzeichnen. Zu vermuten wäre, dass hier die „transzendentale Obdachlosigkeit“, die Lukács 1914 in seiner Theorie des Romans konstatiert, die Kunst als gleichwertiges Sinnstiftungsmodell neben Religion, Politik oder Wissenschaft etc., treten lässt. Wonach diese mit Manifesten und gezielten Aktionen im öffentlichen Raum auch beginnt, sich als solche selbst zu definieren und zu reflektieren.

Das Verhältnis von Soziologie und Kunst war dabei immer zwiespältig: Leopold von Wiese gestand der Kunst 1930 im Rahmen seiner Verbindungslehre zwar zu, verbindend zwischen Menschen zu wirken, beklagte aber in der Nachkriegszeit die Tendenz der modernen Kunst, dieses Potential absichtlich brachliegen zu lassen. Eine zweite Welle der sozialen Intervention der Kunst lässt sich ab den 50er Jahren mit der Pop Art konstatieren. Die soziologische Reflexion reagiert eigentümlich stumm auf den konsumintegrierenden Gestus der Kunst (bspw. Andy Warhols).Mit der Beschreibung von Kunst als eines Funktionssystems in der Systemtheorie, vor allem aber den neueren Zweifeln an der Reichweite der funktionalen Differenzierung der modernen Gesellschaft von Seiten der Praxistheorien gerät auch die Frage nach dem Ort der Kunst von neuem in den Fokus: wenn Kreativitätspraktiken sich laut Andreas Reckwitz bis weit in die Wirtschaft ausbreiten, muss die alte Frage nach der Autonomie von Kunst (Adorno u.a.) umgedreht werden. Sie lautet dann nicht mehr: was bleibt von der Kunst, wenn alles Gesellschaft ist, sondern: was bleibt noch von der Kunst, wenn alles Kunst ist?

Im Seminar wollen wir dem Verhältnis von Kunst und (Kunst)Soziologie an diesen drei Schwellen nachgehen und die theoretischen Texte mit ihnen zeitgenössischer Kunst konfrontieren. Das Seminar findet als Blockseminar vom 7.-9. Oktober statt, jeweils von 10-18h, an einem der Tage ist eine Exkursion (in eines der Dresdner Museen) geplant. Das Seminar wird gleichzeitig in der Soziologie und Germanistik ausgeschrieben. Da die Teilnahme eine zuverlässige Vorbereitung, die Übernahme von Impulsreferaten und die exzessive Hingabe an theoretische Texte wie an moderne Kunst verlangt, bitten wir um ein 1seitiges Exposé, auf dem Sie bitte Ihr konkretes Interesse (evtl. an einem Beispiel, etwa die Herausforderung eines bestimmten Kunst,werks‘ oder eines theoretischen Zugangs problematisieren) schildern.

Auf der Grundlage der Exposés entscheiden wir, wer am Seminar teilnehmen wird. Eine Informationsveranstaltung sowie Vorbesprechung findet am 21. Juli, 16:40h (Raum 101, Wiener Straße 48) statt. Die Exposés sind bis zum 1.09. per Mail einzureichen an:
Tanja.prokic@tu-dresden.de und Moritz.Mutter@tu-dresden.de

Seminar (Bachelor) „Hello Kittler“

Ja, Sie haben richtig gelesen! Es handelt sich nicht um ein Hello Kitty-Seminar. Aber was denn dann? Wem gilt das Hello? Es gilt: Friedrich A. Kittler, Ikone der Medienwissenschaft, Streitfigur der Germanistik und Geisteswissenschaft, der er nachhaltig den „Geist“ ausgetrieben bzw. der Germanistik vorgeführt hatte, wie der Geist überhaupt als nichts weiter als ein Medieneffekt in die deutsche Nationalphilologie Einzug erhielt. Worin aber liegt das verbindende Glied zwischen Kitty und Kittler, jenseits einer brisanten Homographie?

Hello Kitty ist vielleicht die berühmteste Katze der Welt. Friedrich A. Kittler gilt als der Begründer der deutschen Medienwissenschaft. Hello Kitty eroberte den Weltmarkt durch ihre Anpassungsfähigkeit genauso wie durch ihren unverkennbaren Stil. Ihr schlichtes Katzengesicht ziert überladenes rosa Kinderspielzeug genauso wie zeitlosere Damen-Accessoires in Grau, Schwarz und Weiß. Sie ist Symbol von Stilikonen aller Altersstufen, Vorbild in Designfragen und findet sich auf Alltagsutensilien wie Toastern oder Flugzeugen, so dass man wohl von einem Hello Kitty-Effekt sprechen kann. Ein Effekt, der das alterslose Katzenfräulein mit dem Germanisten, der die Germanistik generalüberholte, verbindet. Gleichzeitig so überladen und schlicht sind die Ideen seiner Habilitation Aufschreibesysteme 1800/1900, mit der er die Germanistik in das Zeitalter einer avancierten, auf den Text ausgerichteten Medienwissenschaft führte. Der Kittler-Effekt stellt sich ein, wenn die beispiellose Kombination von Medientheorie (Toronto School), Psychoanalyse (Lacan), Grammatologie (Derrida) und Diskursanalyse (Foucault) auf die Grundfertigkeiten philologischer Lektüre trifft und über die Brillanz und Vielschichtigkeit einiger Sätze wie in Anbetracht eines Kunstwerks staunen lässt. Er stellt sich ein, wenn der Versuch an einem Genie teilzuhaben, das schließlich die Decodierung von Schaltplänen und Blaupausen der Lektüre von Goethe und Schiller vorzieht, in die Nachahmung eines bestimmten Gebrauchs des Deutschen, des sogenannten Kittler-Deutschs, mündet, oder eine Reihe von Epigonen (die Kittler-Jugend) hervorbringt, die den Geisteswissenschaften restlos den Geist austreiben, indem sie die Konstruktion eines Turnschuhs der Kenntnis klassischer Texte vorziehen.

Im Seminar wollen wir dem Phänomen Friedrich A. Kittler auf die Spur kommen. Seine frühen der Germanistik anverwandten Texte jenen Texten seiner technischen Wende gegenüberstellen, sowie seine Methodik und Ideen historisch und systematisch kontextualisieren (Lacan, Heidegger, Foucault, Derrida, McLuhan). Wir wollen uns gemeinsam in einem Close-Reading den teilweise schwierigen bis hermetischen Texten Kittlers widmen, sie am Originaltext (E.T.A. Hoffmann, Goethe, Kleist) prüfen, wollen seine Eleganz nachvollziehen und den Konsequenzen und Sackgassen seiner Überlegungen nachspüren.

Seminar (Lektürekurs MKW, LMU München) „Eyes wide shut – Texte zur Visual Culture“

Stanley Kubricks Verfilmung Eyes wide shut (1999) von Arthur Schnitzlers Traumnovelle (1925) gibt das thematische Spektrum und gleichermaßen die theoretische Prämisse für den Lektürekurs des Masterstudiengangs Medienkulturwissenschaft vor. Die Augen weit geschlossen hat die Rezipientin eines literarischen bzw. schriftlich verfassten Textes, nimmt sie zwar den Text primär über das Sinnesorgan „Auge“ auf, doch wird dieses gerade in seiner Wahrnehmungsvielfalt eigentümlich beschnitten: schwarze Buchstaben auf weißem Papier formieren das Einfallstor für eine bunte Imaginationskraft des „inneren Auges“. Besonders in der Medienkonstellation um 1800 wird die Visualität des Traums, der Malerei, der realen Realität (Natur und erste Stadterfahrungen) zur Herausforderung für den toten Buchstaben respektive das anästhetisierende Massenmedium Literatur. Die Hegemonie des Visuellen bleibt so eigentümlich unberührt von der Revolution der Schrift, was u.a. zu einer breiten Revision des Verhältnisses von Literalität und Oralität in den letzten Jahren der Forschung geführt hat. Besonders aber mit dem Aufkommen der Fotografie und des Films werden die Grundlagen für einen Paradigmenwechsel geschaffen, den BildwissenschaftlerInnen als Pictural Turn verhandeln. Unsere Kultur ist nun wieder primär eine visuelle, so lautet die einfache, aber zunächst evidente These der DenkerInnen der interdisziplinär ausgerichteten visual studies. Im Seminar wollen wir theoretische Grundlagentexte durch die entsprechenden Medienphänomene denken. Dabei soll vor allem das Verhältnis von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Präsenz und Absenz, aber vor allem Phänomene des Dazwischen (also Unschärfe, blinder Fleck, Ränder, Entgrenzung) als Denkfigur und Darstellungsphänomen Aufmerksamkeit erfahren. Was heißt in unserer Kultur Beobachten? In welchem Verhältnis steht es zum Verkennen und Erkennen? Ist unsere Medienkultur inzwischen eine der totalen Sichtbarkeit? Und wie verhält sich Un/Sichtbarkeit letztlich zur Un/Sagbarkeit? Und wie verhält sich der Iconic Turn bzw. der Visual Turn zu anderen Turns, etwa dem Material Turn oder dem Acoustic Turn? Zum Abschluss des Blockseminars ist eine Exkursion in eine thematisch passende Ausstellung geplant.

Sommersemester 2015

Seminar (Master) „I’m a Cyborg but that’s ok -
Von Menschen und Maschinen in Literatur, Film und TV-Serie“

Die Annäherungen zwischen Mensch und Maschine haben seit dem verstärkten Einzug der Science-Fiction-Stoffe ins Kino und in das so genannte Quality TV der 2000er Jahre verstärkt Konjunktur. Kontemporäre TV-Serien und Film-Sequels werfen wie kein anderes Medium die Frage nach „anthropologischem Wissen“ auf. Ein wunderbares Beispiel bildet hier einerseits die Serie Battlestar Galactica aus den Jahren 1978-1980 und das Reboot aus den Jahren 2003-2008. Andererseits gibt auch die Trilogie der Terminator-Filme (1984/ 1991/ 2003), die noch eine monokausal durch die Übermacht der Maschinen verursachte Apokalypse zeichnen und die Gegenüberstellung des TV-Serienformat Terminator – The Sarah Connor Chronicles (2007-2009) und das Film-Sequel Terminator Salvation von 2009 Aufschluss über signifikante Neufokussierungen der Frage nach dem Menschen. Die Frage nach dem Menschen im Unterschied zur Maschine nimmt gerade vor dem Hintergrund der aufkommenden Industrialisierung Kontur an. In der philosophischen Tradition werden ganze Diskurse über den Menschen, dessen Bestimmung und Möglichkeiten über die Differenz zu mechanischen Abläufen gefasst, so etwa bei Descartes (Discours de la methode (1637); Meditationes de prima philosophia, (1641)) Julien Offray de La Mettrie (Der Mensch eine Maschine (1749)) oder Immanuel Kant (Kritik der Urteilskraft (1790)). Die Literatur wird die Konstellation von Mensch und Maschine und Medium um 1800 (aufgreifen und die Parameter zu einer Hybridisierung von Mensch und Maschine, wie sie ab 1900 zu denken möglich und nötig wird vorwegnehmen: Von hier aus ist auch eine breitenwirksame Umstellung der Begrifflichkeiten zu verzeichnen, wo von der Maschine, dem Uhrwerk, der Eisenbahn, der Automate die Rede war, werden Begrifflichkeiten wie Android, Cyborg und künstliche Intelligenz etc. zu finden sein. Im Seminar soll eine historische wie systematische Perspektive auf die Konstellation Mensch-Maschine-Medium gewonnen werden. Wir werden uns daher sowohl mit Ausschnitten aus philosophischen und theoretischen Texten (17.-21. Jh.) , literarischen Texten (19-20.Jh.) wie Manifest-Entwürfen und Filmen (vor allem der 20er Jahre) und Serien (der 2000er Jahre) gleichermaßen zu beschäftigen, um die Mensch/Maschine-Thematik durch das Seminar begleitende Fragen zu profilieren: Die Frage 1) nach seriellen Logiken, die mit der Reproduktion und Produktion der Maschine in Arbeits- und Lebenskontexten verbunden sind 2) nach dem Verhältnis von historische Anthropologie und Medienanthropologie, d.h. die Frage nach dem Menschen im historischen Kontext sowie vor dem Hintergrund einer sich wandelnden Medienkultur 3) nach dem Verhältnis von Fiktion und Fakten, d.h. die Frage inwiefern unser Wissen von Realien von fiktionalen Entwürfen durchtränkt ist.

Seminar (Bachelor) „Der Frosch, ein Medium? Einführung in die Medienwissenschaft“

Mit seinem Aufsatz „Der Frosch – ein Medium?“ verfolgt der Medienwissenschaftler Stefan Rieger ein zweischneidiges Projekt; einerseits reagiert er auf einen inflationären Einsatz des Medien-Begriffs in den Medien- und Kulturwissenschaften der letzten zehn Jahre. So wurde neben den (technischen) Kommunikationsmedien und künstlerischen Medien auf einmal sämtliche Alltagsgegenstände zum Medium erklärt, kontraintuitive Themen unter einem medientheoretischen Ansatz verhandelt: Mode, Möbel oder gar Tiere wurden zu Medien. Andererseits legt Rieger mit einem Rückgriff auf die Wissenschaftsgeschichte, speziell auf das wissenschaftliche Experiment dar, wie der Frosch tatsächlich zum Medium avancierte. Die Lektion Riegers könnte man mit dem Titel eines Aufsatzes von Joseph Vogl (Medien-werden) konturieren, ein Medium muss erst durch einen bestimmten diskursiven und historischen Zusammenhang zu einem solchen werden. Ein Medium ist nicht per se, d.h. apriori ein Medium. Ein solcher Ansatz wird von den meisten philosophischen Ansätzen der Medientheorie favorisiert, dabei ist der zentrale Gedanke, dass ein Medium, um eine bestimmte Botschaft zu vermitteln, immer latent bleiben muss, daher die Medialität hinter die Botschaft zurücktritt. Erst da, wo das Medium in seiner Latenz versagt, mache es sich selbst sichtbar, hörbar bzw. wahrnehmbar. Wir kennen alle solche Störungen unserer Medien, das weiße Rauschen des Fernsehers, das Rauschen des Radios oder Telefons, ein Browser ohne Internetzugang, eine unleserliche Handschrift … etc. Marshall McLuhan der erste selbst deklarierte Medientheoretiker ging sogar soweit zu behaupten, dass die Botschaft das Medium selbst sei. In diesem Seminar wollen wir uns mit den führenden Medienbegriffen (Toronto School, Luhmann, Kittler und Schüler, Krämer, Mersch, Vogl) ebenso wie mit solchen avant la lettre (Benjamin, etc.) auseinandersetzen und sehen, was die Medienwissenschaft eigentlich als Wissenschaft ausmacht. Da es Ziel des Seminars sein soll, die Medienbegriffe auch am Beispiel zu diskutieren, ist vorgesehen, nach einer 2stündigen Einführung (und gemeinsamen Projektplanung für das Semester, auf ein 4stündiges Seminar (alle 2 Wochen) umzusteigen, so dass genug Diskussionsraum für die auf unsere Texte zu beziehenden Beispiele (wie Film, Literatur, Musik, Video, Bild, Fotografie… ect.) bleibt.

Seminar (Lektürekurs MKW, LMU München) „Previously on… Serielle Kultur und technische Reproduktion“

Der Lektürekurs MKW spezialisiert sich in diesem Semester auf den Zusammenhang von Serialität und technischer Reproduktion. Dabei soll die Überlegung Walter Benjamins zum Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit zugespitzt werden: Und zwar auf die Idee, dass die rasant ansteigenden Optionen technischer Reproduzierbarkeit(en) der Moderne eine spezifische Signatur aufprägen, die sich unter dem Schlagwort Serialität beschreiben lässt. Fortsetzungsromane, Fortsetzungserzählungen oder Bildergeschichten finden ihre Radikalisierung in der Reflexion und Reduktion des Seriellen als Prinzip von Kultur schlechthin. Hier wird uns vor allem der Paradigmenwechsel in der modernen Kunst der 50er Jahre beschäftigen, im Besonderen der Zusammenhang von Populärkultur und Pop-Art. Wir wollen klassische Medientheorien ebenso wie mediale Phänomene auf ihr Wissen zur Funktion von Serialisierung sowie zur Struktur von Serialität befragen. Dabei wird uns auch der Trend zu Prequels und Sequels sowie die Tendenz zur Praxis des Remake beschäftigen. Das Seminar findet als Blockseminar nach dem Sommersemester statt. Es wird jedoch eine vorbereitende Sitzung mit Besprechung des Seminarplans und der Vergabe von Kommentaren bereits im Juni stattfinden, sowie ggfs. die Planung einer kleinen Exkursion innerhalb von München (Ausstellung oder Galerie).

Wintersemester 2014/15

Seminar (Bachelor) „Sehen lernen. Visueller Stil zwischen Fabula und Syuzhet“

David Bordwell gilt, neben seiner Frau Kristen Thompson, als (Mit-)Begründer der sogenannten Wisconsin School, welche die amerikanische Modulation des Neoformalismus auf die „Sprache des Films“ zu verantworten haben. Die Dreifachunterscheidung zwischen visual style, fabula (story) und syuzhet (plot), welche die Wisconsin School vornimmt, gilt als eine der Grundlagen filmischer Analyse und eröffnet eine wunderbare operative Basis, um Filme sehen zu lernen und sie für die weitere medienkulturwissenschaftliche Interpretation zu öffnen. Im Detail wollen wir gemeinsam Szenenanalysen betreiben und uns vorrangig den affektiven und narrativen Funktionen des visuellen Stils im Geflecht mit fabula und syuzhet widmen. Welche Funktionen beispielsweise haben Unschärfe, Split Screen, Farbgebung, Black Screen/White Screen oder Dissolve? Was erzielt die Mise-en-Scene, was die Bildeinstellungen? Die einzelnen visuellen Stile und Mittel verfolgen wir quer durch die Filmgeschichte, an Hand von Beispielen ausgewählter Autorenfilmer sowie Genre-Klassiker.

Seminar (Master) „Automaten, Brillen, Spiegel: Verdopplungen der romantischen Literaturen“

Die Literatur der Romantik steht in einem engen Wechselverhältnis zur Erfindung und Verbreitung einer Reihe an optischen Erfindungen (Laterna Magica, Diorama, Panorama etc.). Gemeinsam wollen wir im Seminar der Frage nachgehen, ob die Verdopplung der Welten in der romantischen Literatur sowie die Verdopplung von Figuren und Räumen eben dieser Errungenschaft zahlreicher optischer Erfindungen geschuldet sind, oder ob die Zuspitzung der bereits aus der Mystik bzw. dem Siglo D’oro bekannten Motiv- und Themenkonstellationen eine Verlängerung des aufklärerischen und idealistischen Gedankenguts darstellt. Besonders E.T.A. Hoffmanns Werk wird uns dabei näher beschäftigen, nicht nur weil es faktisch als eines der erfolgreichsten dieser Zeit gilt und damit gesellschaftsanalytisch funktionalisiert werden kann, sondern weil Hoffmanns Werk darüber hinaus ein hohes medienreflexives Potenzial auszeichnet, welches wiederum erlaubt, poetologische Rückschlüsse auf die Funktionen von Literatur vorzunehmen. Entsprechend wollen wir uns auch das Feld der Optik dieser Zeit etwas genauer ansehen.

Übung (Master MKW; LMU München)
„How to do things with words.Theorie und Praxis der Filmkritik“

In dieser Übung, die als Blockseminar stattfindet, geht es uns darum, zwei mediekulturwissenschaftliche Kerngebiete, nämlich Sehen und Texten, praktisch zu verbinden: Wie kann ich das gesehene in Worte fassen, meinen LeserInnen gleichzeitig Einblick in die Handlung sowie eine Einordnung in das kulturelle Archiv vornehmen, ohne meinen Text mit Informationen zu überfrachten? Wie wird mein Text leserfreundlich? Gibt es Regeln? Was muss ich beachten? Wir üben an noch kaum rezensierten Film-Beispielen. Ziel ist es, Lang- und Kurzrezensionen auch online (etwa bei Philtrat oder Medienobservationen) zu veröffentlichen.

Sommersemester 2014

Vorlesung „Methoden und Grundfragen der Medien- und Kulturwissenschaften“

In dieser Einführung in die Medien- und Kulturwissenschaft wollen wir uns über die verschiedene Theorien und Modelle an die großen Fragen der Kultur wagen. Ausgewählte Fragen der Vorlesung lauten: Was ist überhaupt Kultur? Wie dieselbe überhaupt beobachten? Was ist ein Medium? Was haben Medien überhaupt mit uns und der Kultur zu tun? Wozu braucht man eigentlich Theorie? Geht es vielleicht auch ohne? Seit wann sind Männer und Frauen nur kulturelle Konzepte? Wieso ist Geschlecht ein Resultat der Anrufung? Können Dinge Handlungsträger werden? Kann Literatur auch ein Medium sein? Muss man es erst lernen, Filme zu sehen? Was hat der Film mit der Literatur zu tun?
Die Vorlesung wird begleited von einer Powerpoint, die vorab ins Netz gestellt wird. Listen mit weiterführender und verwendeter Literatur werden ebenfalls im LSF stehen. Die Bereitschaft, Textauszüge oder den ein oder anderen Film zu sehen, ist erwünscht, aber nicht verpflichtend. Die Studierenden sind angehalten, Fragen und Ideen zur Vorlesung per Mail zu senden.

Übung „Sehen lernen. Theorien und Modelle der Filmanalyse“

In dieser Einführung in die Medien- und Kulturwissenschaft wollen wir uns über dDass wir manchmal schon lange bevor es die Handlung preisgibt, wissen, welche zwei Figuren zusammenfinden, dass der Held oder die Heldin gar nicht tot ist oder wer der Mörder ist, verdanken wir dem gezielten Einsatz filmischer Techniken, deren Konventionen wir seit Kindertagen implizit beherrschen.
In dieser Übung, die neben den Studierenden des Masters MedienKulturwissenschaft für sämtliche Interessierte offen ist, wollen wir eben solche filmische Konventionen unter Berücksichtigung filmwissenschaftlicher Literatur an ausgewählten Beispielen gemeinsam diskutieren. Dazu gilt es einzelne filmische Techniken auf ihren erzählerischen Einsatz (z.B. Splittscreen, Black Screen, White Screen, Dissolve) zu untersuchen, sowie typische Erzählanfänge wie Schließungsfiguren quer durch die Genres (Western, Horror, Komödie, Science-Fiction) und die Epochen des Films zu prüfen. Ausflüge in den europäischen und globalen Autorenfilm sollen dabei über den Bruch und das Spiel mit etablierten und eingeschliffenen Erzählstandards in den Blick genommen werden. Diese Übung setzt sich zum Ziel, eine Kernkompetenz der MedienKulturwissenschaft, wenn nicht sogar unserer gegenwärtigen Kultur, zu vermitteln bzw. zu verfeinern: das filmische Sehen.ie verschiedene Theorien und Modelle an die großen Fragen der Kultur wagen. Ausgewählte Fragen der Vorlesung lauten: Was ist überhaupt Kultur? Wie dieselbe überhaupt beobachten? Was ist ein Medium? Was haben Medien überhaupt mit uns und der Kultur zu tun? Wozu braucht man eigentlich Theorie? Geht es vielleicht auch ohne? Seit wann sind Männer und Frauen nur kulturelle Konzepte? Wieso ist Geschlecht ein Resultat der Anrufung? Können Dinge Handlungsträger werden? Kann Literatur auch ein Medium sein? Muss man es erst lernen, Filme zu sehen? Was hat der Film mit der Literatur zu tun?
Die Vorlesung wird begleited von einer Powerpoint, die vorab ins Netz gestellt wird. Listen mit weiterführender und verwendeter Literatur werden ebenfalls im LSF stehen. Die Bereitschaft, Textauszüge oder den ein oder anderen Film zu sehen, ist erwünscht, aber nicht verpflichtend. Die Studierenden sind angehalten, Fragen und Ideen zur Vorlesung per Mail zu senden.

Workshop „Quentin Tarantino“ an der HFF München

Wintersemester 2013/2014

Seminar (Master MKW)
„Lichtspiel und Tondebüt. Das Kino der Weimarer Republik“

Nach dem Ende des ersten Weltkrieges spiegelt die geistige Landschaft Deutschlands ein eigentümliches Nebeneinander von epistemologischer Krise und blindem Beharren auf die geistesgeschichtliche Tradition wider. Und obgleich zahlreiche große Erzählungen des 20. Jh. teils noch ausstehen, scheinen sie dazu verdammt, ohne Anspruch auf alleinige Deutungsmacht für sich beanspruchen zu können, in diesem Nebeneinander aufzugehen.
Entgegen einer retroaktiven Historiographie, die die Weimarer Republik unter proto-faschistischer Perspektive (Elsaesser vs. Kracauer/Eisner) fasst, soll im Seminar eine mediale Historiographie (Engell/Fahle) erprobt werden, die die Jahre zwischen 1918 und 1933 als Heterotopie (Foucault) zu fassen sucht, um der spezifischen Situation des Nebeneinander von Deutungsentwürfen gerecht zu werden. Als fast schon musealer Unort scheint diesen Jahren die Signatur der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ (Luhmann/Nassehi) eingeprägt, nicht zuletzt in Folge einer bis dato einzigartigen intermedialen Konstellation. Im Zentrum dieser Konstellation steht das Medium Film, selbst einer paradigmatischen Umbruchsituation vom Stummfilm zum Tonfilm ausgesetzt. Von ihm aus soll der Versuch unternommen werden, das mediale Dispositiv (Hormann) dieser Zeit als Reflexion, Symptom und Apriori (Kittler) der Erfahrung der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen zu rekonstruieren. Dabei ist die theoretische Prämisse leitgebend, den Film als Ort des Nicht/Wissens (Fahle) zu verstehen, der seine Form über ein spezifisches Resonanzverhältnis zum (inter)medialen und sozialen/interkulturellen Außen gewinnt. Die daraus resultierenden Konsequenzen für eine adäquate Methodik jenseits eines nur hermeneutischen und philologischen Zugriffs werden im Seminar ebenfalls zentraler Gegenstand der Diskussion sein.

Lektürekurs (Master MKW)
„Von A wie Arnheim bis Z wie Zizek. Schriften zu Medien, Kunst und Literatur“

Sommersemester 2013

Vorlesung
„Methoden und Grundfragen der Medien- und Kulturwissenschaften“ Proseminar „Kafka mit Foucault. Foucault mit Kafka“

Proseminar
„Kafka mit Foucault. Foucault mit Kafka“

Mit keinem anderen Namen in der Philosophiegeschichte ist der Nexus von Macht, Sexualität und Wissen so eng verknüpft wie mit dem von Michel Foucault. Kein Literat hatte die Ökonomie von Macht, Begehren und Sexualität so beunruhigend und mit performativem Nachhall ins Werk gesetzt wie Franz Kafka. An manchen Stellen liest sich sein Werk wie eine Vorwegnahme, eine literarische Illustration der wissenschaftlichen Thesen Foucaults. Und auch Foucault verzichtet nicht auf eine poetisch anmutende Sprache, um seinen Thesen jenes Gewicht zu verleihen, das Kafkas Texten anhaftet. Wechselseitig sollen sich im Seminar Dichter und Denker zur Sprache bringen. Dabei sollen vor allem Foucaults Thesen zur Geschichte der abendländischen Rationalität dazu dienen, die literarischen „Vorwegnahmen“ Kafkas in ein historisches Wissensdispositiv seit der Aufklärung zu situieren.

Proseminar
„Literatur verfilmt und ver-filmt“

Im Spannungsfeld der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Literaturverfilmungen kommt es einerseits zu einer normativen Disqualifizierung des Films gegenüber seiner literarischen Vorlage, andererseits, speziell unter der Forschungsperspektive der Intermedialität, zu einer komplexen Würdigung des Transformationsprozesses von Literatur in Film. Der Titel „Literatur verfilmt und ver-filmt“ nimmt gleichermaßen auf die Extrempositionen dieser Diskurslage Bezug. Speziell Positionen, die Literatur als Objekt des Verfahrens der Verfilmung (Wagner 2012) fassen, müssen sich dabei der Herausforderung eines rigiden Literaturbegriffs stellen. Wohingegen Ansätze, die den Prozess der Verfilmung produktiv im Sinne einer Verschiebung, Veränderung (Bohnenkamp 2012) oder Vermehrung fassen, auf beide Medien gleichermaßen, d.h. auf ihre jeweilige Medienspezifik zu fokussieren haben. Um die Risiken einer Aushandlung des Literaturbegriffs zu Gunsten einer Beschäftigung mit dem Transformationsprozess zu bannen, sollen im Seminar kanonische Texte der neueren deutschen Literatur und ihre Verfilmungen untersucht werden. Zur Einführung werden wir uns mit verschiedenen Grundlagentexten zur Literaturverfilmung und Intermedialität auseinandersetzen, um ein Begriffsinventar zu erarbeiten, von dem aus wir Literatur/Verfilmungen beobachten können.
U.a. sollen dabei eine Rolle spielen, der Umgang mit Textinserts und Erzählern aus dem Off in Eric Rohmers Verfilmung von Heinrich Kleists „Marquise von O.“ und R.W. Fassbinders Verfilmung von „Effi Briest“, sowie filmisches Schreiben im literarischen Text am Beispiel von Döblins „Berlin Alexanderplatz“ und Fassbinders serieller Umsetzung. Der Umgang mit Visualität im Medium der Literatur und im Medium des Films wird an Hand der Gegenüberstellung von Schnitzlers „Traumnovelle“ und Kubricks „Eyes Wide Shut“ eine entscheidende Spur für das Verständnis der medialen Differenzen bieten.

Wintersemester 2012/2013

Proseminar
„Movies that matter – Zur Materialität des Films“

Der Film wurde in der Geschichte seiner wissenschaftlichen Untersuchung sowohl als Kunstwerk, als Zeichensystem, als ideologischer Apparat als auch in seiner historischen oder diskursiven Dimension, in seiner Formalästhetik sowie gendertheoretisch, philosophisch und medientheoretisch reflektiert. Obzwar ihm eine spezifische Materialität, vor allem durch medientheoretische Ansätze, zugestanden wird, bleibt diese sowohl in filmanalytischen als auch in filmtheoretischen Arbeiten weitgehend unbeobachtet. Den medientheoretischen Impuls aufgreifend sollen im Seminar Materialitätsphänomene des Films untersucht werden. So wäre zunächst die Materialität des Trägers, d.h. Verbreitungsmedium und Format der Filmaufzeichnung von Interesse. Bekanntlich gehen mit jedem Aufzeichnungsformat sowohl Restriktionen und Konventionen der Ausstrahlung als auch bestimmte Konventionen der Kameraeinstellung und der Montage einher. Materialität bezieht sich nun aber auch auf die dargestellten Materialitäten, d. h. auf die kinematografischen Gegenstände und deren organische wie artifizielle Texturen. Auch hier soll speziell die Wechselwirkung mit dem Format der Filmaufzeichnung in den Fokus geraten. Gerade die Materialität des Aufzeichnungsmediums (Bild wie Ton) bildet eine Vorentscheidung für die In/Visibilisierung von kinematografischen Objekten und ihren Oberflächenstrukturen. So werden die im Film dargestellten Gegenstände gerade durch eine explizite Betonung ihrer Texturen in ihrer Funktion für die Diegese beobachtbar und beschreibbar.
An Hand filmhistorischer wie zeitgenössischer Filmbeispiele soll die Dimension der Materialität als filmwissenschaftliche wie medienwissenschaftliche Perspektive erprobt werden. Zur Teilnahme am Seminar wird sowohl Lesebereitschaft wie Medienkompetenz vorausgesetzt. Die Kenntnis der entsprechenden Filme zu den jeweiligen Seminarsitzungen versteht sich ebenfalls als strikte Bedingung für die weitere Teilnahme am Seminar.

Hauptseminar
„Geschicht(en) des Auges“ zs. mit Prof. Dr. Oliver Jahraus

Mit den Bemühungen um die wissenschaftliche Inthronisierung der Subjektivität als Fundament des Denkens wählte sich die Philosophie des 18. Jahrhunderts seltsamerweise eine Metapher, die doch im schärfsten Gegensatz zu dem stehen musste, wofür die rationalistische Wende in den Philosophien dieser Zeit einstand. Ausgerechnet einer der als unzuverlässig eingestuften Sinne sollte zur Metapher für die Unterscheidungskraft des Geistes avancieren: das Auge. Nicht zuletzt die geistige und politische Strömung der Aufklärung (Enlightenment) baute auf dem semantischen Feld des Auges auf und garantierte der Augen-Metapher einen einschneidenden Erfolg in der kulturellen Konfiguration des Abendlandes. Tauchte die Metapher des Auges schon im religiösen Kontext und in der Metapher des inneren Auges vor allem in der Dogmatik sowie Mystik des Spätmittelalters und des Siglo de Oro in den unterschiedlichsten Konnotationen auf, so erfuhr sie durch die Indienstnahme der Aufklärung einen folgenreichen Zuschnitt: Durchsichtigkeit, Transparenz, Sichtbarkeit als Effekte einer durch die sehende und unterscheidende Tätigkeit der Vernunft, diskreditierten fortan Erkenntnisweisen, die auf dem Anderen beruhten und das Dunkle und Opake favorisierten. Mit der Wende zum okularzentristischen Paradigma findet die Moderne ihren Auftakt und lässt sich in der Oszillation zwischen Licht und Schatten, Schwarz und Weiß, Vernunft und Wahnsinn in den vielzähligen Geschichte(n) des Auges rekonstruieren und dekonstruieren (man denke an die Ausmaße und Umstände der Kolonialisierung, die gerade durch diese Differenzierungslinien ihre hegemonialen Bestrebungen plausibilisierte). Im Seminar wird vor allem ein Theorieimport aus der Filmwissenschaft, in der das Auge als Schnittstelle zwischen Zuschauer und Medium und der Blick als Leitkriterium von Genderkonfigurationen zahlreich bearbeitet wurden, hilfreich sein, um eine erweiterte Perspektive auf klassische Werke der Literaturgeschichte zu erarbeiten. Dabei sollen Handlungs- und Konfliktstrukturen, die sich in visuellen Konstellationen verdichten ebenso wie jene Rückschlageffekte untersucht werden, die solche ,Geschichten des Auges‘ auf jenes Medium haben, in welchem sie erzählt werden, seien diese nicht-visueller oder – in einer autoreflexiven Figur – gerade auch selbst visueller Natur, wie der Film.

Sommersemester 2012

Vorlesung
„Methoden und Grundfragen der Medien- und Kulturwissenschaften“

Einführungsseminar
„Einführung in die neuere deutsche Literatur“ (Kurs I)

Kolloquium „Operation Kino – Die Filme von Orson Welles“

Mit keinem anderen Namen in der Philosophiegeschichte ist der Nexus von Macht, Sexualität und Wissen so eng verknüpft wie mit dem von Michel Foucault. Kein Literat hatte die Ökonomie von Macht, Begehren und Sexualität so beunruhigend und mit performativem Nachhall ins Werk gesetzt wie Franz Kafka. An manchen Stellen liest sich sein Werk wie eine Vorwegnahme, eine literarische Illustration der wissenschaftlichen Thesen Foucaults. Und auch Foucault verzichtet nicht auf eine poetisch anmutende Sprache, um seinen Thesen jenes Gewicht zu verleihen, das Kafkas Texten anhaftet. Wechselseitig sollen sich im Seminar Dichter und Denker zur Sprache bringen. Dabei sollen vor allem Foucaults Thesen zur Geschichte der abendländischen Rationalität dazu dienen, die literarischen „Vorwegnahmen“ Kafkas in ein historisches Wissensdispositiv seit der Aufklärung zu situieren.

Wintersemester 2011/12

Proseminar
„Theorien der Rezeption und Ästhetik“

„Er [Hegel] und Kant waren die letzten, die schroff gesagt, große Ästhetik scheiben konnten, ohne etwas von Kunst zu verstehen.“ (Theodor W. Adorno)

Die philosophische Ästhetik verdankt ihren Status als eigene Disziplin erkenntnistheoretischen Impulsen gegenüber dem Rationalismus des 18. Jahrhunderts. Gemäß ihrer Begriffsherkunft von Aisthesis (gr. Wahrnehmung, Gefühl, Verständnis) sucht sie die Beziehung von sensitiver Erfahrung als bloße Wahrnehmung und kognitiver, d.h. reflexiv gefilterter Erkenntnis in der Kunstbetrachtung auszuloten.
Begründer der phil. Ästhetik Alexander G. Baumgarten nähert sich erstmals dem Erkenntnisproblem, indem er sensitive Wahrnehmung durch eine kognitive Erkenntnis ergänzt. Er bereitet den systematischen Boden, auf dem Immanuel Kant seine Kritik der ästhetischen Urteilskraft ansiedelt. Er entwickelt eine Theorie des Schönen als Theorie des Geschmacksurteils über das Schöne. Georg F. W. Hegel bietet den letzten systematischen Ansatz im Bereich der ästhetischen Theorie. Theodor W. Adorno wird später gerade an diesen systematischen Ansätzen kritisieren, dass sie im Kontext einer einheitlichen Weltanschauung nicht bis zur Individualität von Einzelwerken vorstoßen. Gerade in jenem Moment also, wo die Einheitlichkeit einer Weltanschauung nachhaltig verloren geht, entstehen eine Vielzahl von differenten ästhetischen Überlegungen. Zwar lassen sich diese Überlegungen bereits im Umfeld der praktischen Umsetzung von Kunst, bspw. für das Theater (Lessing) oder für das Drama (Schiller) finden, eine Aufnahme in die philosophische Ästhetik finden diese Fragen eher am Rande, denn philosophische Ästhetik verfährt systematisch als Erkenntniskritik. Erst mit Wolfgang Isers und Hans Robert Jauß’ Rezeptionstheorien verschafft sich die Frage nach dem Rezipienten erneut Gehör. Im Seminar wollen wir ausgewiesene philosophische Ästhetiken ebenso berücksichtigen wie literatur-ästhetische Rezeptionstheorien und dabei die Gelegenheit nutzen auch auf moderne Rezeptionstheorien zu blicken, wie sie die Filmwissenschaften konzipieren. Zentrale Frage des Seminars soll dabei lauten, wie das Verhältnis zwischen Einzelwerk, Medienspezifik und holistischen (ästhetischen) Modellen ausfallen müsste, um den Fragen, die moderne Kunst aufwirft, gerecht zu werden.

Proseminar
„Aug’ um Aug’. Zahn um Zahn. Zur Rache der Frau in medienkomparatistischer Perspektive“

Rache am betrügerischen Ehemann, am Vater, an Kinderschändern, an Mördern, an Vergewaltigern. Rache an der Mutter. Rache an den eigenen Kindern. Rache am Schreiben. Rache an der Geschichtsschreibung. Rache an der Filmgeschichte. Rache an der eigenen Sexualität. So unterschiedlich der Anlass für gewaltige Taten bzw. Gewalttaten von Frauen auch sein mag, es zeigt sich, dass diese nahezu ausschließlich aus dem Geist der Rache motiviert sind: mal aus einer mythologischen Tradition heraus, wie beispielsweise die femme castratrice des Rape & Revenge-Movies der 70er Jahre (z.B. I Spit on Your Grave), mal aus politischer (z.B. Antigone) oder aus psychologischer Motivation heraus. Die Rache der Frau im Kino bspw. scheint mit einem hochgradig audio-visuellen Ästhetizismus einherzugehen, das zeigen vor allem Quentin Tarantinos Filme, deren Heroinen in der Tradition des japanischen Racheengels stehen (z.B. Lady Snowblood) oder gerade männliche Ideale ästhetisch adaptieren (Death Proof). Aber auch literarische Texte, wie Elfriede Jelineks oder Christine Angots Texte erlangen ihre rächende Wirkung über ein hohes poetisches Reflexionspotential. Wie immer sich Frauen rächen, ihre Rache scheint schön, wahr oder zumindest gerecht. Selten scheint sie dagegen heute noch unberechtigt, selten scheint sie nicht nachvollziehbar. So speist sich weibliche Rache aus Darstellungskonventionen einer langen historischen Tradition und wird von den verschiedensten Texten als eine ästhetische Strategie funktionalisiert, der wir im Seminar u.a. unter gendertheoretischen Kriterien (Judith Butler) kritisch nachgehen wollen. Dabei soll ausgehend vom antiken Medea- und Elektra-Stoff eine Linie über Neubearbeitungen (Hugo von Hoffmannsthal, Franz Grillparzer, Heiner Müller, Pier Paolo Pasolini) zu Texten (Friedrich Dürrenmatt, Elfriede Jelinek, Christine Angot etc.) und Filmen der Gegenwart (Tarantino, Lars von Trier, Miike etc.) gezogen werden.

Kolloquium
„Operation Kino – Das Werk von Pier Paolo Pasolini“

Pasolonis tolldreisten Geschichten werden wir im kommenden Semester die lange Nacht von 43 widmen, Ortsbesichtigungen in Palästina vornehmen, Notizen für einen Film über Indien anfertigen, sowie Notizen zu einer afrikanischen Orestie. Wir wollen erotische Geschichten aus 1001 Nacht lauschen, Große Vögel, kleine Vögel sowie Hexen von heute beherbergen. Uns fragen Wer nie sein Brot mit Tränen aß und bei einem Gastmahl der Liebe schließlich eine Geometrie der Liebe entwickeln.

Sommersemester 2011

Proseminar
„The Address of the Eye – Zum Status des Körpers in den Filmwissenschaften“

Wenn Natalie Portman in Black Swan ihren Spitzenschuh nach einem kurzen Aufschrei öffnet, und wir einen Blick auf ihren blutigen Nagel erhalten, dann fühlen wir ein körperliches Unbehagen, eine Erinnerung an einen Schmerz, der uns Aufzucken lässt. Wenn sich Holly Golightly und Paul ,Fred‘ Varjak im Regen endlich finden, dann spüren wir vielleicht die Sehnsucht und Erfüllung in ihrem Kuss. Wenn in Gaspar Noes Irreversible der Kopf eines Mannes nach und nach mit einem Feuerlöscher zu Brei geschlagen wird oder die Vergewaltigung einer Frau ganze 9.51 Minuten gezeigt wird, dann wünschen wir uns in körperlicher Anspannung, dass es bald aufhört. Wir sehen hin und wünschen uns wegzusehen. Die erste Adresse des Kinos ist unser Auge als körperliches Organ, die zweite das Ohr. Auditive und visuelle Wahrnehmung gelten als die Sinne schlechthin, die das Kino anspricht, als jene Sinne, die eine ästhetische Auseinandersetzung bedingen und fördern. In einer Denktradition, die sich in Kants Kritik der Urteilskraft begründet, ist es der Kunst jedoch, und insbesondere dem Film, nicht möglich, die Nahsinne (olfaktorische, gustatorische, taktile) anzusprechen. Im Rückgriff auf neuere Ansätze, die sich mit dem Aspekt der körperlichen Widerfahrnis durch das Kino bzw. den Film auseinandersetzen, soll dem Phänomen Körper auf mehreren Ebenen entgegenkommen werden. Denn schließlich ist der auditiv-visuelle Prozess von einer Reihe körperlicher-affektiver Reaktionen begleitet, u.a. Lachen, Weinen, Gänsehaut, bis hin zum Erbrechen. So stellt sich unter anderem die Frage, welche Genres den Körper explizit ansprechen, welche ihn durch eine vorrangig intellektuell geprägte Auseinandersetzung ausblenden, welche Verfahren der Adressierung bestehen und vor allem welche Techniken der Immersion, d.h. Einspeisung qua Bewusstsein oder qua Körperlichkeit, bestimmte Rezeptionslinien vorgeben.

Basisseminar
„Gegenwarten. Theorien und Literaturen des Augenblicks“ zs. mit Prof. Oliver Jahraus

Kaum ein Begriff erlaubt eine so polyvalente Bezugnahme wie jener der Gegenwart. Als die Differenz von Vergangenheit und Zukunft zeichnet Gegenwart eine eigentümliches Oszillationsverhältnis aus. Sie ist weder nur (ab)geschlossen noch nur möglich. Sie oszilliert in einem Dazwischen. Sie ist auf dem Wege einer Schließung, sie engt die Möglichkeiten ein. Gegenwart ist Zukunft auf dem Weg in die Vergangenheit. Gegenwart ist nicht. Sie war oder wird sein. In ihr manifestiert sich das Paradox der Zeit schlechthin: Zeit ist nicht, sie ist nur in ihrem Vergehen. Die Unsagbarkeit der Gegenwart, die stete Nachträglichkeit ihrer schriftlichen /visuellen/ sprachlichen Reflexion, macht sie gewissermaßen zu einem zeitlosen Thema. Ein zeitloses Thema, dass sich stets zeitspezifisch, d.h. historisch variabel stellt. An Hand ausgewählter literarischer und theoretischer Texte soll die Polyvalenz der Gegenwart überprüft werden und

Kolloquium
„Operation Kino – Tendenzen des neuen asiatischen Kinos“

Studierendenworkshop:
„Gegenwart kontrovers – Kino kontrovers“ an der LMU

Wintersemester 2010/11

Proseminar
„,There is no such thing as a bad coincidence‘ –Der Kriminalroman, literaturwissenschaftliche Methodik und das psychoanalytische Paradigma

Dass der Erfinder der Psychoanalyse, eine große Leidenschaft für Kriminalromane hegte, dass die die Konjunktur des Kriminalromans mit Entdeckung psychologischer Profile steigt, ist kein Zufall. Vielmehr scheint die eigentümliche Verstrickung der Gattung Kriminalroman, Psychoanalyse und literaturwissenschaftlicher Praxis ein und demselben „hermeneutischen Zwang“ zu unterliegen: wir wollen verstehen, warum, wie, wann und wo es dazu kam, dass dieser oder jener zu diesem und jenen Zeitpunkt dies oder jenes getan hat und vor allem: warum! Die Untat liegt im Dunkeln – will aufgedeckt werden, im Akt des Aufdeckens verschmelzen literaturwissenschaftliche Praxis und detektivische Kompetenzen. Getrieben durch die Frage nach der Schuld, dem Begehren nach Objektivität und der Unzulänglichkeit der menschlichen Beobachtungsfähigkeit verschärfen sich die Mechanismen des Beweises, der Beweisführung hin zur totalen Objektivität und prägen ein Erkenntnisraster, das weit über den bloßen Genuss an Kriminalliteratur hinausgeht. Der moderne Mensch wird zum Derivat des Detektivs – die Welt eine Frage der Detektion. Vom Ödipus bis zur/zum Literatur/Film der Gegenwart soll dem Modell des Detektiv, seiner Konjunktur und seinen radikalen Konsequenzen für die Moderne nachgegangen werden.

Einführungsseminar
„Einführung in die neuere deutsche Literatur“ (Kurs 17)

Kolloquium
„Operation Kino – Metafilme“

Außer Atem wollen wir der Kunst des Kinos dienen und ihm Die besten Jahre unseres Lebens schenken. Erbarmungslos Teil von Ekel und Verhängnis, Verachtung, Liebe und Zorn werden. Mit der Faust im Nacken werden wir, Schwere Jungs – leichte Mädchen uns im Irrgarten der Leidenschaft verlieren. Als Die Unbestechlichen werden wir stets in Gedanken tragen, dass das Kino „The stuff that dreams are made of“ ist. Wir werden den Geschichte(n) des Kinos lauschen, mit ihnen Tisch und Bett teilen. Unser Dinner beginnt um acht und es endet nicht bevor die Lichter der Großstadt ausgehen oder Die Letzte Metro fährt. Kraft des Wortes werden wir unsere Rechte schützen. Nach der Reifeprüfung werden wir sagen „We accept him, one of us“. Als die Opfer einer großen Liebe werden wir bei der letzten Vorstellung schreien: Vorhang auf, Ich kämpf um Dich. Mit Herzflimmern werden wir sagen, Aufwiedersehen bis morgen!

Sommersemester 2010

Proseminar
„Textkörper – Körpertext: Zur Prominenz von Körperdiskursen in Literatur und Theorie“
zs. mit Anne Kolb

Erzählungen materialisieren sich in der Schrift. Obgleich sie sich im zweidimensionalen Raum ansiedeln, haben sie das Potential einen Körper zu erschaffen: einen Textkörper. Mit der Schrift entwickelt sich die eigentliche Möglichkeit der Erzählung. Körpertexte, so würde man vermuten, handeln auf der inhaltlichen Ebene von Körpern. Eine Richtung der Erzähltheorie besagt, nicht zwischen Discours- und Histoire-Ebene der Erzählung zu unterscheiden: nach dieser theoretischen Einstellung zufolge, dürfte es sich bei der Bezeichnung Textkörper Körpertexte nicht um zwei verschiedene Phänomene handeln, sondern vielmehr um ein Phänomen aus verschiedenen Einstellungen. Jeder geschriebene Text hat notwendiger Weise einen Körper, aber erzeugt er auch einen?
Präsenz und Absenz sind konstitutive Bestandteile jedes literarischen Textes. Literatur lebt geradezu von Leerstellen ebenso wie von Erzähltechniken, die einen präsentischen Sog zu entwickeln vermögen. Die Frage, wie Literaturen Absenzen setzen und Präsenzen erzeugen, birgt nicht nur die Möglichkeit einen Text interpretativ zu erschließen, sondern erlaubt der Frage der Literarizität der Literatur neu zu begegnen.
Das Verhältnis von Textkörper und Körpertext auszuloten, stellt ein Instrument der Textanalyse bereit, das ermöglicht, Literatur auf seine Präsenzeffekte hin zubefragen und über die bloße Erzählung in die beschaffenheit des textes einzutauchen. Im Seminar sollen systematisch das Zusammenspiel von Textkörper und Körpertext ausgelotet werden, an Hand von einigen theoretischen, sowie erzähltheoretischen Überlegungen wollen wir an ausgewählten Literaturbeispielen im close reading-Verfahren Text auf ihre erzählerischen Verfahren untersuchen.

Einführungsseminar
„Einführung in die neuere deutsche Literatur“ (Kurs 1 und Kurs 3)

Studierendenworkshop
„Gegenwart kontrovers – Körper kontrovers“ an der LMU

Sommersemester 2009

Proseminar
„,Feminismus reloaded‘? Das Wissen der (weiblichen) Literatur von Sophie von La Roche bis Elfriede Jelinek“ zs. mit Anne Kolb

Anfang 2008 entzündete sich vor dem Hintergrund eines deutlich auszumachenden Booms an Frauenliteratur, darunter vor allem Titel wie „Neue Deutsche Mädchen“ und „Wir Alphamädchen. Warum Feminismus das Leben schöner macht“ eine hitzige Debatte um Tendenzen eines neuen Feminismus in Deutschland. Nicht zuletzt brillantes Marketing und eine schlampige Literaturkritik platzierten so auch Charlotte Roches „Feuchtgebiete“ im Februar 2008 in den Kontext dieses neuen, jungen Feminismus. Im Oktober 2008 erschien, sich in die „new feminism“- Strömung einreihend, sodann die erste Ausgabe des sogenannten Missy Magazine, das es sich unter dem Wahlspruch: „Feminismus ist passé? We don’t think so“ zum Ziel macht, Popkultur, Politik und Style mit einer feministischen Haltung zu verbinden. All diese Projekte erklären eine pornographiefeindliche, feministische Haltung à la Emma für tot und setzen ein jugendliches, an die „moderne“ Popkultur angelehntes Programm entgegen. „Dieser Feminismus ist beweglich, solidarisch“, sagt die Frankfurter Rundschau mit Fingerzeig auf die neue „Alphamädchen“-Kultur, „er richtet sich nicht [mehr] gegen die Männer, sondern gegen gesellschaftliche Strukturen“. Doch wie jugendlich und gesellschaftlich subversiv kann ein Projekt sein, das seine Wurzeln in einer mindestens 200jährigen Geschichte der Emanzipation hat? Mit einem kritischen Blick auf die Geschichte der Frau in Literatur und Film wollen wir gemeinsam das kritisch-gesellschaftliche Potential des „Feminismus reloaded“ untersuchen und die Chancen und Risiken beleuchten, die sich aus einem marktnahen Feminismus ergeben können.

Studierendenworkshop
„Gegenwart kontrovers in Literatur – Musik – Film – Bildender Kunst” an der LM

Skip to content